Volltext: Die Lebensgeschichte Franz Stelzhamers 2. Theil [30] (II. Theil / 1932)

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Die Lebensgeschichte Franz Stelzhamers. 
Schöpfungslage für jetzt und allwegs und zu ewigen Zeiten, Amen! 
(Ls ist ihnen eingegraben mit feurigen Zeichen ins innere Herz; 
denn der Griffel war geschmiedet aus den jüngsten Sonnenstrahlen 
und eingetunkt ins Weltmeer, das noch kochte und schäumte von 
all den Millionen Rräutersäften und Rörpermarken; darum erinnern 
sie sich immer und jedesmal, wenn nach der langen Winterpause 
die ersten Sonnenpfeile schwärmen, Saft und Mark die kleinen ge 
heimen Reim- und Puppenbehälter sprengen und das blumen 
lächelnde, käfernemfige Frühlingsleben beginnt; und darum wird 
der Mensch, der stolze, selbstsüchtige Mensch, der abtrünnige Usur 
pator im Reiche Gottes, der pfuschende, grillenhafte Nachschöpfer 
und gewaltige Meister im Rartenhäuserchenbau, mitten bei seinem 
Einreisten und Ausbauen, mitten in seinem Rochen und Schmoren, 
mitten auf derselben diabolischen Faustfahrt seines Trachtens und 
Strebens ergriffen und aufgehalten, wenn plötzlich im Mai hart 
an seinem Ohr ein — kleines vöglein singt. Er hat es schon oft 
gehört — das Lied, das weder er, noch das singende vöglein selbst 
versteht, allein es trifft ihn so unwiderstehlich neu und lieblich, daß 
er die Stadt mit seinen Ronzertsälen, seinen Spielen und Opern 
häusern und all dem künstlichen Wesen und Unwesen verlassen und 
fliehen, und — sei es auch nur auf Tage und Stunden, hin und 
hinaus muß, wo die Natur das große Gedächtnisfest ihres Ur 
sprunges zelebriert. Sieh', wie schön! Auf dem Haupte die Blüten- 
fträuße der Bäume, um Schulter und Lenden den Blumenmantel 
ihrer unentweihten Jungfräulichkeit — so steht sie überwältigt und 
still, und nur das himmelerhobene Antlitz zittert und lächelt vor 
Schauer und Wonne der Erinnerung zugleich; der Vogel aber, ihr 
Stimmführer, singt sein altes, heiliges Lied, und die anderen Tiere, 
ihre Anwälte, lauten und brüllen und kreischen jeglich nach seiner 
Art und Empfindsamkeit, und der Mensch, der drei Teile der Zeit 
ein halber Gott oder ein Teufelchen voll Harm und Elend gewesen, 
wird — Mensch: in die amtstarre und salonsteife Lehmfigur fährt 
der Geist Gottes, der belebende Frühlingshauch. — Ein Blick, ein 
Atemzug — o herrlich, wunderbar und wonnereich! — Ihm ist, 
als wäre er nie gewesen, und doch fühlt er ein Leben groß und 
voll, wie eine Weltgeschichte. —- Sein Stammbaum ist ein blühen 
der Maibaum, das Makel seiner Schmach steht wie ein verduftendes 
Wölkchen am Fimmel, die Nägelzeichen seiner Leiden sieht er wie 
flüchtige Furchen, die der spielende Fisch zieht im Wasserspiegel, 
wie schwache Spuren einer über das Sandfeld eilenden Hündin 
— die nächste Sekunde hat sie verwischt! — Ein neuer Adam steht 
er da in der neugewordenen Welt, groß ohne Bewußtsein, wie die 
Unschuld und wie das ungetrübte Wohlsein ohne Gefühl, hoch
	        
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