Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Erster Theil] (8,1 / 1901)

40 Das Ende des Aufenthaltes in der Schweiz. 
aus Hamburg (Susette Borkenheim); sie hatte den poetischen Sinn von 
ihrer Mutter geerbt, die sür Klopstock geschwärmt und auch das Hoch 
zeitsfest ihrer Tochter mit und bei dem Dichter zu Ottensen gefeiert 
hatte. Frau Gontard war von einer so seltenen und vollendeten 
Seelen- und Körperschönheit, das Wort im classischen Sinne genommen, 
daß ihr Anblick und Wesen den an Jahren jüngeren Erzieher ihrer 
Kinder, diesen Schwärmer für Hellas und „die Paradiese Platos" in 
einen Rausch des Entzückens versetzte, von dem seine gleichzeitigen, ver 
trautesten Briefe erfüllt sind. Die zwischen beiden herrschende Wahl 
verwandtschaft wurde durch geistige Mittheilungen und Gespräche täg 
lich genährt und erhöht. Auf tückische Art, von seiten, wie es scheint, 
einer boshaft und eifersüchtig gesinnten Gesellschafterin war die Eifer 
sucht des von Ausbrüchen jäher Heftigkeit heimgesuchten Mannes erregt 
worden, und es kam im September 1798 eines Abends zu einer plötz 
lichen, höchst peinlichen Scene, zu einer schnöden, vielleicht schimpflichen 
Behandlung Hölderlins, nach welcher dieser sofort das Haus für immer 
verließ, ohne daß die leidenschaftliche Beziehung zwischen ihm und 
Frau Gontard und der briefliche Verkehr beider einen Abbruch erlitten. 
Sie ist die Diotima seiner Dichtungen und hat die Katastrophe nur 
wenige Jahre überlebt. Sie starb im Jahre 1802.* 
2. Irrfahrten und Ende. 
Hölderlins Nerven waren seit jener gewaltsamen und plötzlichen 
Trennung heillos erschüttert, er selbst in äußerst reizbarem Zustande 
und in beständiger Unruhe; es trieb ihn von Ort zu Ort, einige Zeit 
verweilte er bei seinem Freunde I. von Sinclair in Homburg, dann 
als Lehrer erst in dem Hause Landauer zu Stuttgart, bald nachher in 
Hauptwil bei St. Gallen, zuletzt im Hause des Hamburgischen Consuls 
Bethmann zu Bordeaux; auch hier duldet es ihn nicht, nach wenigen 
Monaten ergreift er von neuem den Wanderstab (Juni 1802), durch- 
1 Ueber Hölderlins briefliche Schilderungen dieser Frau vgl. rnan seine 
Briefe an Ludw. Neuster vom März 1796, 10. Juni 1796, 10. Febr. und 
10. Juli 1797. (Sämmtl. Werke. Herausg. von Chr. Th. Schwab. Bd. II. 
S. 114—120.) Die Briefe zwischen Hölderlin und Gontard sind in den Besitz 
seines Stiefbruders, des Hofdomänenraths Karl von Gock, gekommen und von 
den Nachkommen seiner Tochter in Heidelberg aufbewahrt, vielleicht vernichtet 
worden. (Der Kaufmann Gontard war von einer so unbezähmbaren Heftigkeit, 
daß er sich als Kind in der Wuth ein Auge ausgestochen hat und in Folge davon 
auf dem einen Auge blind war und mit dem andern schielte.)
	        
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