Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Erster Theil] (8,1 / 1901)

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Die Religion und das absolute Wissen. 
Substanz aller ausmacht, deren Wirklichkeit und Dasein alle und jeden 
Einzelnen als seinen Willen und That weiß". Da der Kultus nicht 
das volle concrete Leben in sich begreift, sondern als Tempeldienst der 
Wirklichkeit gegenübersteht und sich von ihr absondert, so hat ihn Hegel 
als „das abstraete Kunstwerk" bezeichnet im Unterschiede von dem 
„lebendigen" und dem „geistigen Kunstwerk". In dieser dreifachen 
Abstufung sieht er die Entwicklung der Kunstreligion. * 
In keinem Felde seiner Phänomenologie hat Hegel aus so vollen 
und enthusiastisch bewegten Anschauungen geschöpft als hier, wo es sich 
um den Geist und die Religion des hellenischen Volks handelt; unwill 
kürlich gedenken wir der Einflüsse seiner Jugendfreundschaft mit Hölderlin 
in den tübinger und frankfurter Zeiten; von seinen früheren Schriften 
vergegenwärtigen wir uns den Aufsatz „über die wissenschaftlichen Be 
handlungsarten des Naturrechts", insbesondere den Abschnitt über „die 
absolute Sittlichkeit"? Die Ausführungen, welche „die Kunstreligion" 
behandeln, den Aufgang und Untergang einer Welt voller Ideen und 
Schönheit, enthalten auch die schönsten Stellen der Phänomenologie. 
Die Epoche der absoluten Kunst, wie Hegel sie nennt, ist dadurch 
charakterisirt und bedingt, daß die Bande des sittlichen Geistes sich 
schon gelockert und gelöst haben; das Schwergewicht der sittlichen 
Substanz, die alle Einzelnen durchdringt und zu Gliedern eines har 
monischen Ganzen macht, ist gehoben und leicht geworden, damit ist 
„der absolute Leichtsinn des sittlichen Geistes", die Freiheit der Indi 
viduen eingetreten, das Selbstbewußtsein, zugleich erfüllt und frei, hat 
sich der Substanz bemächtigt und erhebt ihren Inhalt aus der nächt 
lichen Tiefe seiner künstlerischen Thätigkeit in die vollendete Form des 
Kunstwerks. Ein höchst merkwürdiges und tief bedeutsames Wort, 
wie Hegel diese Menschwerdung Gottes durch die griechische Kunst be 
zeichnet. „Diese Form ist die Nacht, worin die Substanz verrathen 
ward und sich zum Subject machte; aus dieser Nacht der reinen Ge 
wißheit seiner selbst ist es, daß der sittliche Geist als die von der 
Natur und seinem unmittelbaren Dasein befreite Gestalt aufersteht." 3 
1 Ebendas, a. Das abstraete Kunstwerk. S. 509—522. b. Das lebendige 
.Kunstwerk. S. 522—527. c. Das geistige Kunstwerk. S. 527—542. — 2 Vgl. 
dieses Werk. Buch I. Cap. II. S. 17—19. Cap. IV. S. 35—41. Buch II. Cap. IV. 
S. 278-289. — - Hegel. Werke. II. S. 511 u. 512.
	        
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