Der sich entfremdete und der seiner selbst gewisse Geist. 407
nicht verdient und erworben, sondern nur erwartet und erhofft. „Die
Nichtinoralität spricht eben hierin aus, was sie ist, — daß es nicht
um die Moralität, sondern um die Glückseligkeit an und für sich ohne
Beziehung auf jene zu thun ist." 1
Es kann darum auch füglich nicht die Rede sein von einer Dis
harmonie der Moralität und Glückseligkeit in der gegenwärtigen
Welt, worin die Güter und Genüsse so ungerecht vertheilt seien, daß
es dem Guten schlecht und dem Schlechten gut gehe. Wer ist hier gut
oder schlecht zu nennen, da doch die Nichtmoralität herrscht, und zwar
ohne Ausnahme? „Der Sinn und Inhalt des Urtheils der Erfahrung
ist dadurch allein dieser, daß einigen die Glückseligkeit an und für sich
nicht zukommen sollte, d. h. er ist Neid, der sich zum Deckmantel die
Moralität nimmt. Der Grund aber, warum anderen das sogenannte
Glück zu Theil werden sollte, ist die gute Freundschaft, die ihnen und
sich selbst diese Gnade, d. h. diesen Zufall gönnt und wünscht." ^
Es giebt demnach keine Position des moralischen Bewußtseins,
die durch die Nachweisung der ihr inwohnenden Widersprüche nicht zu
erschüttern wäre, keine Bejahung, die nicht zurückgenommen, anders
gestellt und verneint werden müßte, so daß es mit der Sache über
haupt nicht Ernst zu nehmen ist. Der Hauptpunkt, welchen die hegelsche
Kritik und Polemik trifft, und von dem sie nach allen Richtungen
ausstrahlt, ist der Dualismus zwischen Moralität und Wirk
lichkeit, auf dem die ganze moralische Weltanschauung ruht, und
gegen welchen sich eine neue Gestalt des moralischen Geistes erhebt.
3. Das Gewissen, die schöne Seele. Das Böse und seine Verzeihung. ^
Daß es ein moralisches Bewußtsein giebt, und daß cs keines
giebt; daß wir genöthigt sind, dasselbe zu bejahen und zu verneinen,
bezeichnet Hegel als die Antinomie der moralischen Weltanschauung
und begründet sie aus dem Dualismus zwischen Pflicht und Wirklich
keit, der die Pflicht unwirklich und jenseitig, das Bewußtsein der
Moralität unwirksam und thatlos macht. Aus diesem thatlosen Zu
stande kehrt der moralische Geist in sich und seine Selbstgewißheit als
die alleinige Quelle seiner Handlungen zurück: in seinem Selbst ist der
Widerstreit zwischen Pflicht und Wirklichkeit aufgelöst, der Dualismus
> Ebendas. S. 455. - - Ebendas. S. 455 u. 456. - - Ebendas, e. Das
Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeihung. S. 460—492.