Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Erster Theil] (8,1 / 1901)

Herkunft und Lehrjahre. 
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Dagegen lesen wir mit einigen: Befremden in seinem Tagebuch 
vom 1. Januar 1787, daß er an diesem Neujahrstage vielerlei zu 
thun Willens gewesen, aber von der Lectüre eines Romans dergestalt 
gefesselt worden sei, daß er sich nicht habe losmachen können. Dieser 
Roman war „Sophiens Reise von Memel nach Sachsen", eines der 
elendesten und langweiligsten Machwerke unserer damaligen Litteratur, 
eine in sechs dicken Bänden, in zahllosen Briefen mit zahllosen An 
hängseln und Fortsetzungen verfaßte Geschichte der Schicksale und 
Abenteuer eines jungen Mädchens, welches in den letzten Zeiten des sieben 
jährigen Kriegs während der Occupation Ostpreußens durch die Russen 
von Memel nach Dresden reisen soll, um die Schicksale und den Auf 
enthalt des verloren gegangenen Sohnes ihrer Pflegemutter zu erkunden. 
Der Verfasser war Joh. Timotheus Hermes, später Prediger und 
Professor der Theologie in Breslau, der nach dem Ruhm geizte, der 
deutsche Richardson oder gar Fielding zu werden, und es im Felde des 
Sittenromans den Leistungen Nikolais in dem der Reisebeschreibung 
noch zuvorgethan hat. Er war doch so bekannt geworden, daß noch 
zwanzig Jahre später Schiller in einigen seiner Xenien, wie „Der 
Kunstgriff", „Der Pfarrer Cyllarius" und „Für Töchter edler Her 
kunft" (so hieß eines dieser hermetischen Bücher), den Mann mit seinem 
„Zofenfranzösisch" und „Pastorenlatein" gegeißelt hat. * 
Die unergötzlichen Schilderungen des breiten Alltagslebens mit 
seinen platt geschwätzigen Leuten, seiner faden Geselligkeit, seinen Gast 
höfen, Wirthsstuben und Postkutschen, untermischt (wie man Karten 
mischt) mit allerhand seltsamen Abenteuern, haben den jungen Hegel 
damals sehr amüsirt. Es herrscht in ihm selbst etwas Alltägliches, Aelt- 
liches, Philiströses, das erst durch die allmählich fortschreitende Erhöhung 
seiner Ideenwelt geistig herabgesetzt und unterworfen wurde. Niemand 
hätte damals geahnt, daß in diesem scheinlosen Jüngling, der sich in einen 
so elenden und langweiligen Roman vertiefen konnte, ein tiefer Denker 
verpuppt war, welcher sich emporringen und eines Tages als der erste 
Philosoph des Zeitalters erscheinen werde. Als Schopenhauer in der 
von Rosenkranz verfaßten Lebensbeschreibung Hegels jene Mittheilung 
aus dem Tagebuche des letzteren gelesen hatte, schrieb er triumphirend 
an seinen Schüler K. Bühr: „Mein Leibbuch ist Homer, Hegels Leib 
buch ist Sophiens Reise von Memel nach Sachsen". 
Hist.-kritische Ausgabe. Bd. XI. S. 99 u. 100. (Nr. 13, 14, 25.)
	        
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