Volltext: Vom Frühjahr 1915 bis zum Kriegsende 1918 (2 ;)

der Lanitätsmannschaft und auch die Küche verschüttet, denn noch weitere Massen wälzten sich 
Uber unsere Stellung. Atembeklemmende Augenblicke waren es, angesichts der so surchtbar an¬ 
rollenden Lawinen. Beim vorderen Eingänge der Wellblechbaracke meines Zuges türmten sich 
Berge von Schnee. Ein kleines Zelsriff oberhalb unserer Behausung hatte das Schlimmste 
abgewendet. Mit sieberhaster Eile arbeiteten meine Leute, um unsere Küche, in der wir den 
Koch vermuteten, wieder freizulegen. Bald drangen auch die Hilferufe der Maschinengewehr¬ 
abteilung des Oblt. Zakob zu uns. 
Es sah recht übel aus. Li. v. Scala und seine braven Mannschaften leisteten Übermenschliches. 
Bis Z Uhr früh hatten sie alles ausgegraben. 2m ganzen waren 4 Offiziere und 100 Mann 
mehrere Meter lies verschüttet worden, aber durch ein ganz außerordentliches Glück gab es keinen 
einzigen Toten und nur zwei Verletzte. Die schräg in den Hang gebauten Unterstände hatten den 
Schneedruck ausgehalten. Nur die zum Glück menschenleere Küche lag mitsamt dem Kochkessel 
in Trümmern. Ein besonders günstiger Zufall war es, daß zur Zeit des Unglücks in den Unter¬ 
künften kein Feuer gebrannt hatte, sonst wären die Eingeschlossenen im Rauche erstickt. 
Ein paar Leute waren wohl halbbetäubt, doch waren sie bald wieder frisch und munter. Ein 
Posten war von der Lahne gestreift und gegen einen Baum geschleudert worden. Er kletterte 
an ihm hinaus und war gerettet. Ein anderer, den es mitriß, blieb heil und ganz im Drahtverhau 
hängen. Der Fähnrich der Mafchinengewehrabteilung hatte eine zerquetschte Hand, sein über den 
Abhang geschleudertes Gewehr war etwas beschädigt. Aber sonst war auch bei der Maschinen- 
gewehrabteilung alles glimpflich abgegangen und es hatte dort jeder so wie bei uns von seinem 
Extraglück zu erzählen. 
Bei den Rettungsarbeiten war das Laternenlicht der Unfern vom Nebel verdeckt worden. 
Das Arbeiten und Rufen konnte dem Feinde natürlich nicht entgehen. Als der Wind den Wolken¬ 
schleier Hinwegriß und der Himmel sich klärte, fegten Schrapnells Uber die kaum geretteten 
Unsrigen und bohrten sich Granaten in die Hänge des Ballon Bianco. Sie wollten uns neue 
Lawinen herabschießen, wir kannten diese Absicht von früheren Tagen her. Doch unsere Artille¬ 
risten blieben die Antwort nicht schuldig. Eherne Boten flogen zum Eol Rosa und auch von 
dessen Schultern löste sich der Mantel. Gewaltig rauschend glitt ihm das Schneekleid ab, stürzte 
den Steilhang hinab und begrub Stellung und Schanzen. Aus dem Krachen der Bäume und 
Balken glaubten wir hundertfachen Hilffchrei zu vernehmen. Ein kurzer Zubel, ein Ausdruck 
wilden Triumphgefühles brach aus den Unfern. 
So ähnlich war es, wenn einer der Feinde von der Kugel getroffen zu Boden sank, daß der 
Schütze im Siegesstolze frohlockte und gleich darnach voller Mitgefühl auf sein Opfer sah. 
Genau so war es, als wir die Lawine bejubelten, die unseren Gegner begrub und dann von 
inniger Teilnahme erfüllt, zur Stätte des Unglücks schauten. 
So war es eine Nacht des Entsetzens für uns und für die dort drüben. Doch vom tiefdunklen 
Himmel sahen bald wie sonst die goldenen Sterne herab. 2n unendlicher Ruhe schwiegen wieder 
die Berge und die umschneiten Felsen glitzerten und strahlten wie ehedem im scheidenden Monden- 
schein. Rur breite, schmutziggraue Streifen erzählten von den Schrecken der Rächt. 
Der Morgen kam und wir sahen beim Feinde eine gewaltige Mauer aus Schnee und Eis, 
dort, wo ein uns nur allzu gut bekannter Geschützstand begraben lag. Schon nach wenigen Tagen 
vernahmen wir durch Deserteure des uns gegenüberliegenden 24. Snfanterieregiments (Brigade 
Eomo), wie viele Tote jene Unglücksnacht dem Feinde gekostet hatte. 
Aber auch bei uns mehrten sich die Kreuze. Mancher brave Mann ruht im Fanestale am 
Fuße des Ballon Bianco neben dem Grabe des guten Andreas Kirfchner. Unheilvoll waren diese 
Tage des Vorfrühlings und die treuen Hüter der Dolomiten hatten noch manches schwere Opfer 
zu bringen. Und doch waren es Berge der 'Heimat, die wir verteidigten, Berge, die wir auch 
in ihrem Grimme bewunderten und liebten." 
Am 29. Februar begann die Ablösung des I. Bataillons. Standschützen des Lienzer Stand- 
schützenbataillons übernahmen die Stellung der 2. Kompagnie des 1. Regiments auf Eroda del 
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