Volltext: Viribus Vnitis. Das Buch vom Kaiser

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TOTISER MANÖVER: IMPROVISIERTE PLATZMUSIK IN TÖVÄROS NACH SCHLUSS DER MANÖVER. 
standfest verhalten. Ein Solcher ist gleichsam eine oberste Gefechtsbehörde und braucht einen festen, stets auffindbaren — sagen 
wir Amtssitz, damit die geistige Verbindung zwischen Haupt und Gliedern stets erhalten werden könne. Eine Manöver-Oberleitung 
hat einen anderen Zweck und daher auch ein anderes Verhalten. 
Bei den Manövern von Totis gesellte sich öfters der deutsche Kaiser zu dem unseren bei seinen Ritten. Beide Monarchen 
erörterten ihre Eindrücke, auch im Galopp rege sprechend. Kaiser Wilhelm zeigte durch seine lebhaften Gesten, dass er ungemein 
angeregt, nicht blos unbetheiligter Zuschauer, sondern im vollen Wortsinne Theilnehmer und Kritiker sei. Auch bei den Mahl 
zeiten wurden die kritischen Erörterungen fortgesetzt. Man fühlte sich, wie in einer Familie, was ja dem Verhältnisse eines innigen 
Bündnisses gut entspricht. Dem denkenden Beobachter mochte der Gedanke an die kriegerische Machtfülle nahekommen, welche 
da in den beiden Herrschern, so ungleich an Jahren, aber so ähnlich an jugendlicher Rüstigkeit, verkörpert war, und an die 
unwiderstehliche Kraft ihrer Vereinigung. 
Den Hauptkampf, die Entscheidung durch die Infanteriemassen, beobachteten beide Monarchen wieder vom Aussichts 
punkte. Es liegt eine dramatische Steigerung in diesem Angriffe. Die allmählige Verstärkung des Feuers, bis endlich auf Entscheidungs- 
Abstand das grauenvolle Geprassel der »Mannlicher« losbricht und auch dem Laien den Eindruck der Entscheidung aufzwingt; die 
sprunghafte Annäherung der Schwarmlinie, das Einrücken der Reserven, so dass endlich alle verfügbare Kraft ähnlich verwendet 
und gruppiert ist, wie in den Schlachten der ehemaligen Lineartaktik: zwei gedrängte, gegenüberstehende, wenn auch unregel 
mässige Linien angeschoppter Menschenmassen, welche nochmals an ihre Feuerwaffe appellieren und endlich nach stundenlanger, 
raffinierter Verwendung der modernen Kampfmittel, nach allen technisch und psychologisch ausgeklügelten Bewegungen und Finten 
zurückkehren zum Angriffe der Naturvölker, zum Ansetzen roher Körperkraft, zur blanken Waffe. Der ganze Verlauf der Annäherung 
ist durch Disciplin geadelt; kein Laut, als 
geordnetes Commando; ein Wink, ein Pfiff 
genügt, um Alle zu leiten. Erst ganz zuletzt, 
wenn die Führung endet, wenn beiderseits 
die Reste der Gefechtsfähigen Mann gegen 
Mann zu ringen haben, wird das disciplinierte 
Individuum wild und — schreit »Hurrah!« 
Bei diesem Gefechtsmomente beson 
ders treten die Schiedsrichter in Wirk 
samkeit. Meistens liegt das Schicksal eines 
Angriffs leicht erkennbar schon in den 
Verhältnissen. Wenn z. B. ein Regiment 
ohne rechte Aufklärung vorrückt und dann 
durch starke Kräfte von mehreren Seiten 
mit Schnellfeuer überrascht wird, so fühlt 
jeder Zuschauer, dass das Regiment »zu 
rück« müsse. So klar liegt die Sache nicht 
immer. Meistens arbeitet man hüben und 
drüben gleich vorsichtig, gleich gut. Das 
ist ja recht, aber es erschwert dem Schieds 
richter sein Amt. Da wird denn nach allen 
Vortheilen oder Nachtheilen des Bodens, 
der Deckung, nach kleinen Fehlern, nach 
dem Verhältnisse der wirksamen Geschütze 
und Gewehre sorgfältig geforscht. Die ge- 
sammte Gefechtslage wird erwogen, vor 
Allem aber die Güte oder die Mangelhaftig 
keit der Gefechtsführung des einen oder 
anderen Theiles in Rechnung gezogen und 
endlich der Gefechtserfolg, das Schicksal 
beiden zugesprochen. Im ernsten Kampfe 
besorgt dies hauptsächlich der Kugelregen. 
Bei den grossen Manövern ist das Schieds 
richterthum Sache von Generalen und 
Stabsofficieren. 
Einmal bei Totis, am 14. September, 
wurde bei einem hinhaltenden Gefechte der 
Infanterie-Spaten in grossem Masse verwendet. Dieses Kriegsmittel ist mit dem Schnellfeuer-Gewehre zugleich zur Welt gekommen, 
stützt die zähe passive Vertheidigung unglaublich und vermindert im Kriege die Menschenverluste. 
Ein tröstlicher und rühmlicher Eindruck liegt in der Gleichwerthigkeit und der völlig gleichartigen Gesinnung aller Infanterie- 
Regimenter der ganzen Monarchie. Seit etwa zwanzig Jahren kann man auch beide Landwehren in dieses Urtheil einbeziehen 
und die regulierte, längere Dienstzeit derselben wird diesem Eindrücke eine noch festere Grundlage geben. 
Sobald das Gefecht der Entscheidung nahe ist, lässt der Kaiser durch ein Signal dasselbe unterbrechen. Alles bleibt 
unbewegt, wo es sich eben befindet. Die Schiedsrichter walten ihres Amtes; die Demarcations-Linie wird bestimmt und den beiden 
Partei-Commandanten, so wie den Schiedsrichtern bekannt gemacht. Bei jedem Gefechte muss Einer zurück und der Andere, der 
Sieger, verfolgt ihn, soferne er hiefür noch Kraft und Willen übrig hat. Die Demarcations-Linie wird so festgesetzt, wie sich nach 
der Gefechtslage in der Wirklichkeit das Verhältnis zwischen den beiden Parteien am Ende des Gefechtstages ergeben würde. 
Sie läuft mehr oder weniger weit hinter dem Rücken der Gefechtslinie des Besiegten. Dieser wird sich fechtend und geordnet 
hinter dieselbe begeben; der Verfolger hat dann vor derselben Halt zu machen, so dass nicht einmal die äussersten Vortruppen 
sie betreten oder gar überschreiten. Dann wird auf ein neues Signal das Gefecht wieder eröffnet und endlich kriegsmässig abgebrochen. 
Die Truppen rücken auf ihre Lagerplätze oder in ihre Cantonnierungs-Orte und die Parteien stellen gegen einander Vorposten 
auf. Der Kaiser sieht dem Verfolgungs-Gefechte zu, dann reitet er heim oder besteigt mit seinem engsten Gefolge den bereit 
gestellten Wagen. 
Jene Demarcations-Linie ist offenbar keine kriegsmässige, sondern eine Friedenssache. Man will die Kräfte schonen 
und dämmt hiedurch den Thatendrang ein; sonst gäbe es nächtliche Ueberfälle in schwerer Menge. Auch sonst gab es bei Totis
	        
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