Volltext: Viribus Vnitis. Das Buch vom Kaiser

entbürgert. Solche drakonische Opferung ist unmöglich 
geworden, wo sie so viele hätte treffen müssen. Man 
muss jetzt dem Soldaten den bürgerlichen Charakter 
belassen und ihn dennoch kriegsfähig machen. Diese 
Fähigkeit wurzelt zum kleinen Theile in einigen Ge 
schicklichkeiten und körperlichen Kräften, zum grössten 
Theile in einer mächtig gehobenen moralischen Kraft 
— also in der solche Kräfte fördernden höheren 
Cultur. Als unser Kaiser die allgemeine Schul 
pflicht, eines der wichtigsten Cultur mittel, 
aufstellte, hat er der allgemeinen Wehr 
pflicht erst das rechte Fundament gegeben; 
es war eine überhaupt, aber ganz besonders 
für die Armee segensreiche und nachwir 
kende That. 
Welcher Unterschied zwischen der Ausnützung 
der militärischen Lehrzeit einst und jetzt! Wie ein 
seitig und planlos waren die Exercitien der leidigen 
»guten alten Zeit«! Erst der rasche Stoffwechsel, 
die alljährliche Erneuerung eines Dritttheils jeder Unter 
abtheilung hat den Werth der Zeit klar gemacht. 
Wie zwecklos, wie unmethodisch wurde gearbeitet, 
wo nicht ein denkender Commandant selbst auf Zweck 
und Methode verfiel! Heute ist auch der minder Be 
gabte zur Methode gezwungen. Die Uebungsinstruction 
gibt den Rahmen der alljährlichen Thätigkeit, inner 
halb dessen noch immer Spielraum genug ist für 
eigene Ideen und Forderungen besonderer Verhält 
nisse. Die Schiessinstruction, die zu wiederholten 
Malen wesentlich verbesserten Exercier - Reglements 
aller Waffen und alle anderen »taktischen« Vor 
schriften, Alles ist mit der Methode der Zeiteintheilung 
übereingebracht, so dass bei emsiger Ausnützung 
jedes verfügbaren Augenblickes alles Vorgeschriebene 
gelehrt und eingeübt werden kann. Andererseits ist 
mit geradezu schonungsloser Hand Alles und Jedes 
allmählig ausgemerzt worden, was für den Feldzug nicht unbedingt nöthig schien. In den wenig zahlreichen, kleinen Büchelchen, 
welche diesen Dingen gewidmet sind, liegt eine grosse Geistesarbeit, andererseits aber auch eine wichtige Bedingung künftiger, 
gedeihlicher Wirksamkeit der Armee im Ernstfälle. 
Wie der Kaiser die Ausbildung der Unterabtheilungen der Wiener Garnison prüft, soll an einem Beispiele, an dem 
Programme von 1895, gezeigt werden. Zuerst kam das Infanterie-Regiment Freiherr von Waldstätten Nr. 81 zur Inspicierung 
am 25. Mai. Diesem folgten am 28. die seit Herbst 1894 * n Wien befindlichen zwei bosnisch-herzegowinischen Infanterie-Regimenter; 
am 1. Juni wurden die Kaiserjäger und mit denselben das Infanterie-Regiment Alexander I. Kaiser von Russland Nr. 2 
und am 5. Juni das Infanterie-Regiment Erzherzog Carl Nr. 3 besichtigt. Die Truppen hatten jedesmal um 7 Uhr Früh im Prater 
»gestellt zu sein«. Am 7. Juni wurden das 2. Corps-Artillerie-Regiment und das 4. und 42. Divisions-Artillerie-Regiment auf der 
Simmeringer Haide besichtigt. Am 8. Juni folgte die Inspicierung des Husaren-Regimentes Deutscher Kaiser Nr. 7 und des 
Dragoner-Regiments Prinz Eugen Nr. 13 auf der Schmelz. Am 11. Juni, um 6 Uhr Früh, fuhr der Kaiser nach Bruck a. L. 
Gleich nach der Ankunft wurde dort das 3. Bataillon des Infanterie-Regimentes Hoch- und Deutschmeister Nr. 4, dann 
wurden die Infanterie-Regimenter Galgötzy Nr. 71 und Grossherzog von Toscana Nr. 66, sowie das 14. Corps-Artillerie- 
Regiment besichtigt. Am folgenden Tage wurde das Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 1 und die 2. Division des 7. Husaren- 
Regiments inspiciert. Unmittelbar darauf kehrte der Kaiser nach Wien zurück. In ähnlicher Weise verläuft die Sache jedes Jahr, 
und zwar schon seit der Einführung der Instruction über die Truppenübungen, Ende der Sechziger-Jahre. Es sind bewegte Tage. 
Die Menschen zerfallen in zwei Classen. Die Einen denken hauptsächlich an ihre Kraft, an das, was sie vermögen; die Andern 
in die Mängel ihrer Kraft, an das, was sie nicht vermögen. Die Ersten nehmen den unglücklichen Zufall, der ihnen in die Quere 
kommen könnte, als ein mögliches Ding, welches man verachten müsse; bei ihnen erstickt das Kraftgefühl die Angst, waltet 
SCHLOSS IN TOTIS.
	        
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