Volltext: Viribus Vnitis. Das Buch vom Kaiser

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»Sie möchten die ganze Welt decorieren«, sagte er einst seinen Ministern, »und in kurzer Zeit wären meine Orden nichts 
mehr werth! Aber ich erlaube das nicht«. 
Von dem, was ihm unterbreitet wird, erlangt nicht die Hälfte seine Zustimmung. Aber auch darin beweist er den vor 
geschlagenen, wenngleich unbedeutenden Personen — die bedeutenden zeichnet er ja natürlich aus — so viel Zartgefühl, dass er mit 
keiner Miene sein Widerstreben verräth. Dafür kann natürlich Niemand, dass einzelne Acten von seinem Tische verloren gehen. 
Der Minister muss schon wissen, dass man solche verschwundene Acten nicht suchen darf. Die ruhen sanft in einer gewissen 
kirschhölzernen Truhe des Arbeitszimmers, mit so manchem anderen begrabenen Ehrgeiz. 
»Gemüthlich« ist der Kaiser auch mit seinen Ministern nicht. Er ist immer der Kaiser. Sie referieren ihm stehend. Selten 
nur lässt er einen sitzen. Solcher Auszeichnung wurde nur Koloman v. Tis za theilhaftig. Auch die Hand reicht er nur bei bedeut 
samen Begegnungen und Abgängen. Ein Händeschütteln gilt schon als grosses Ereignis, das den Betreffenden stärker macht 
als die Erde den Antäus. Höhere und mindere Grade von Huld bekunden sich bei den Cercles, wo es einen grossen Unterschied 
macht, ob man sich früher oder später, länger oder kürzer der Ansprache erfreut. Es gibt indess auch Fälle, wo selbst der Fach 
minister sitzend referiert, z. B. wenn er mit den Acten des Budgets beschwert, an der Seite des Ministerpräsidenten erscheint, 
denn stehend könnte er in den vielen Schriften nicht gut blättern. Da stehen denn dicht an des Kaisers Schreibtische zwei Sessel 
für die Minister. 
Irgendein Ministerpräsident sah sich einmal im Weggehen nach einem solchen Referat noch auf der Schwelle um und 
sah, wie der Kaiser in seiner Ordnungsliebe die zwei Sessel ergriff und rasch auf ihre alten Plätze zurückschob. Auch die Schriften, 
die sich auf dem langen Repositorium seines Arbeitszimmers aufhäufen, ordnet er, damit sie sich nicht vermengen, eigenhändig 
in verschiedene Bündel. 
Die interessantesten Handlungen im ungarischen Hofleben sind die staatsrechtlichen Feste: die Eröffnung und der Schluss 
des Reichstages. Da versammeln sich im grossen Thronsaale die ungarischen Herren in ihren blendenden Prunkgewändern. Die 
zum Thronsaal führende Marmortreppe ist mit ganzen Spalieren von Leibgarden und Hellebardieren eingefasst. Im ersten Saale, 
den das Reichstagsmitglied betritt, stehen vier Leibgarden mit Pantherfellen um die Schultern. Sie begrüssen den Eintretenden mit 
blitzendem Säbel, während unten im Hofe die Wache nur dem Primas präsentiert. 
Die versammelten Herren plaudern recht zwanglos, bis dumpfe Stabschläge anzeigen, dass der Kaiser mit seinem Gefolge 
naht. Grabesstille tritt ein. Die Flügelthüren springen auf und der Bischof mit dem Kreuze tritt ein, hinter ihm der Reihe nach 
alle Bannerherren, einer das Reichsschwert in der Hand, ein anderer den goldenen Reichsapfel. Dann erscheint der Kaiser in 
Husarenuniform, unbedeckten Hauptes, den Kalpak unter dem Arm. Hinter ihm kommen die Minister. 
Ein Eljen erdröhnt. Der Kaiser schreitet rasch dem Throne zu. 
Jetzt tritt aus der Gruppe der Minister der Ministerpräsident vor und begibt sich vor die Stufen des Thrones, wo er 
dem Kaiser eine Schriftrolle überreicht. Der Kaiser nimmt sie entgegen, lässt sich auf dem purpurnen Thronsessel unter dem 
purpurnen Thronhimmel nieder und setzt den Kalpak auf. Mit gutem Accent liest Se. Majestät die oft nicht eben kurze Rede. 
* i. Bischof Karl Rimely; 2. Stefan Rakovszky; 
3. Josef von Szlävy; 4, Graf Aladär Andrässy,
	        
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