Volltext: Viribus Vnitis. Das Buch vom Kaiser

der deutsche Kaiser bewohnt hat. Das war in der That eine enge Unterkunft für den mächtigen Fürsten. Und auch von den drei 
Zimmern standen ihm eigentlich nur zwei zur Verfügung, denn im ersten, ziemlich schmalen Gelass schlief der Adjutant. Jenseits 
dieser Reihe befand sich zwar noch ein viertes, allein es musste in aller Hast als Badezimmer eingerichtet werden. Unglaublicher 
weise war nämlich in diesem, schliesslich doch umfangreichen Schlosse, bisher nicht für Baderäume gesorgt. 
Das Erdgeschoss des neuen Gebäudes öffnet sich mit gedeckten Laubengängen, in denen die Schlingpflanzen wuchern, 
auf das herrliche Bild, das sich ringsum und unterhalb erstreckt. Oestlich, jenseits der Donau, ragen zu Tausenden die Giebel, 
Dächer und Thürme Pest’s und die grünenden Waldhöhen von Gödöllö begrenzen das Bild. Linksher wälzt sich die Fluth des 
majestätischen Stromes und umfasst mit breiten Armen alle die Inseln, denen Natur, Gartenkunst und Industrie so mannigfaltigen 
Schmuck gespendet. An seinem linken Ufer erheben sich der hochgekuppelte Reichstagspalast und die Säulenfronten anderer öffentlicher 
Gebäude; sie künden das Ansehen und die Kraft der Nation. Die Fabriksschlote des linken Ufers lassen ihre Rauchsäulen weithin 
sehen, dazwischen grünen Bäume und blühen Blumen, die Brücken verknüpfen, Eheringen gleich, für ewig die Hälften der zwei 
einigen Stadt, überall Gewühl von Menschen, Wagen, Schiffen, das unermüdliche Leben der Hauptstadt. Im Süden dann wölbt sich 
der grün umbuschte Rücken des alten Blocksberges, auf 
dem wohl bald eine Ehrenhalle die Bildsäulen der grossen Männer Ungarns 
vereinigen wird. Und zu Füssen des Berges wieder Brücken und 
wieder Fabriken, Lagerhäuser des hochgesteigerten Verkehrs, die 
Quais, an denen die elektrische Eisenbahn entlangblitzt, und dann 
der Strom immer breiter und breiter, bis er sich in nebliger 
Ferne verliert. Endlich im weitgeschwungenen Halbkreise nach 
Südosten hin Hügel hinter Hügel, rebenbekränzt, laubüberwölbt, 
ihre Flanken und Gipfel und Zwischenthäler mit Landhäusern 
besäet, von blumigen Pfaden durchschlängelt. Das ist der Rund 
blick von der Königsburg zu Budapest. In frühen Morgenstunden 
geniesst ihn der Herrscher, wenn er die gelben Kieswege des Burg 
gartens entlang wandelt und an die Brüstung gelehnt, immer neue 
Schönheit geniesst. 
Kaiser Franz Joseph, der »Nachkomme von hundert Cäsaren« 
ist heute, nicht nur seiner Abstammung, sondern auch seiner 
Persönlichkeit nach, der vereinteste Herrscher der Welt. Keine 
Stimme erhebt sich dagegen. Diesem hohen moralischen Rang trachtet 
er in Allem zu entsprechen; dieses Primat beherrscht ihn gleichsam 
und spornt ihn zur Ausübung hoher fürstlicher Tugenden, die 
in der Selbstüberwindung gipfeln. 
Eines der wichtigsten Werke seines Lebens und seiner Regie 
rung ist der Ausgleich von 1867; dieses fixiert oft seine Aufmerk 
samkeit auf Ungarn. Das ist rein menschlich. Wenn Jemand in 
einer ererbten Landwirtschaft etwas Ausserordentliches schafft — 
sagen wir einen Park oder Weingarten, —- so wird er es dann 
mit besonderer Sorgfalt hegen und pflegen. Wie viele Gedanken 
und Pläne vereinigt er hier! Er kennt Ungarn so durch und durch, 
wie ein tiefblickender Politiker. Es ist überraschend, wie genau er 
mit den Details und den wirkenden Personen vertraut ist. Als ver 
brächte er sein Leben in den Clubs und den Corridoren des Reichs 
tages und durchreiste das Land in Verkleidung, gleich Mathias I. 
, Die Minister und die in kritischer Zeit zum Rathschlagen berufenen 
Vertrauensmänner können nicht genug staunen, wie er in die 
Falten der Frage hineinsieht, wie er den Hintergrund, das Terrain, 
die persönlichen Motive kennt, kurz das ganze Schachbrett, auf 
dem die Partie gespielt wird, mit allen seinen Thürmen und 
Bauern. Dies ist um so erstaunlicher, als er verhältnismässig kurze 
Zeit im Lande zu weilen pflegt. Im Herbst jagt er ein paar Wochen 
zu Gödöllö, in Ofen hält er einen Monat lang Hof, meist zur 
Faschingszeit. Sonst besucht er nur wegen der Manöver oder 
irgend eines ungewöhnlichen localen Festes diese oder jene Gegend, 
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