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österreich-Ungarns Kriegführung im Jahre 1918.
vember das Diktat an. Kaiser Karl selbst sah sich dabei in besonders
schwieriger Lage; denn er hatte noch am 29. Oktober an Kaiser Wilhelm
gedrahtet: Wenn der Gegner den Durchmarsch durch österreichisches Gebiet
gegen Deutschland fordern sollte, so werde er an der Spitze seiner Deutsch-
Österreicher den Durchzug mit Waffengewalt verhindern. Nun aber stellte
sich heraus, daß angesichts des Zustandes auch der deutsch-österreichischen
Truppen an irgendwelchen Widerstand nicht mehr zu denken war. Der
Kaiser legte den Oberbefehl nieder,
z.N»v«mb«r. Am Z.November um l30 morgens erging an die Waffenstillstands-
kommission der Befehl zur Unterzeichnung des Abkommens, das gleich-
zeitig auch für die Balkan-Front galt. Unmittelbar darauf erhielten beide
Heeresgruppen die Weisung zu sofortiger Einstellung aller Feindseligkeiten.
Um 3° nachmittags wurde unterzeichnet. Inzwischen aber erfuhr man,
infolge mangelhafter Verbindungen arg verspätet, daß Italien erst 24Stun-
den nach der Unterzeichnung Waffenruhe zugestehe. Da die eigenen Trup-
pen den Kampf bereits eingestellt hatten, konnte das italienische Heer, für
das die Waffenruhe erst am 4. November um 30 nachmittags eintrat, die
Verfolgung der keinen Widerstand mehr leistenden zurückflutenden öfter-
reichisch-ungarischen Heeresteile mit allen Mitteln und größtem Nachdruck
fortsetzen. Der Gesamtverlust der letzten Schlacht und des Rückzuges stieg
dadurch auf 437 000Mann, davon 300000, die am 3. und 4. November auf
dem Marsch überholt und gefangengenommen wurden. Osterreich-Ungarns
Heer hatte aufgehört zu bestehen.
E.Rückblick: <t)fterreich-Ungarn als Bundesgenosse.
Mit der Katastrophe von „Vittorio Veneto" — so nennen die Italiener
die Schlacht vom Oktober/November 1918 — ist ein Heer dahingegangen,
das durch Jahrhunderte Deutschlands Westgrenze gegen Frankreich, den
Südosten gegen die Anstürme der Türken verteidigt hatte. Solcher Uber-
lieferung entsprechend haben auch im Weltkriege Osterreich-Ungarns Sol-
daten in vielen Schlachten und unzähligen Gefechten Seite an Seite mit
denen des Deutschen Reiches gekämpft und geblutet. Sie waren unser
treuester und wertvollster Bundesgenosse, Wenn sich dabei über Fragen der
Kriegführung manche Meinungsverschiedenheiten ergeben haben, so darf das
nicht wundernehmen, da es sich um die Heere zweier selbständig nebenein-
ander stehender Großmächte handelte, deren politische Belange keineswegs
in allem gleichgerichtet waren. Schon Generalfeldmarschall Graf von Moltke
hatte aus diesen Umstand hingewiesen, indem er über die Frage gemein-
samer Kriegführung schrieb^): Was von einem Verbündeten gefordert
i) von Schmerfeld: „Moltkes ausgewählte Werke", I, S. 4Zf.