Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

§ 6. Das wirtschaftliche und geistige Lehen 
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§ 6. Das wirtschaftliche und geistige Leben unter dem Drucke 
der Reaktion 
Das Hauptbestreben des Antisemitismus war darauf gerichtet, den 
sozialen Aufstieg der emanzipierten Juden zu verhindern. Inwieweit 
war es ihm nun gelungen, diese Aufwärtsbewegung zum Stillstand zu 
bringen? Die Antwort hierauf gibt uns die Statistik aus den letzten 
Dezennien des XIX. Jahrhunderts. 
Die Bevölkerungsbewegung: Im Jahre 1871 bezifferte sich die 
Zahl der Juden in Deutschland auf 512 000 (hiervon entfielen etwa 
3o 000 auf das eben angegliederte Elsaß-Lothringen), während diese 
Zahl im Jahre 1880 bereits auf 562 000 anstieg 1 ). In dem zwischen 
dem Beginn der Durchführung der Emanzipation und dem Aufkom 
men des Antisemitismus liegenden Jahrzehnt hielt sich somit die Zu 
nahme der jüdischen Bevölkerung in den normalen Grenzen und er 
gab einen Gesamtzuwachs von nahezu zehn Prozent. In den folgenden 
Jahrzehnten erfuhr jedoch dieser Zuwachs eine erhebliche Verringe 
rung: im Jahre 1890 wurden in Deutschland 568 000 Juden ge 
zählt, was einen Gesamtzuwachs von nur i,i5o/ 0 ergibt (in der glei 
chen Zeit hatte die christliche Bevölkerung um 9,270/0 zugenommen), 
und im Jahre 1900 wurden 587000 Juden ermittelt, woraus zu er 
sehen ist, daß der Überschuß auch in diesem letzten Jahrzehnt ledig 
lich 3,35o/o ausmachte. Die auffällige Verlangsamung des Wachs 
tumsprozesses ging in erster Linie auf die Einwirkung der antisemi 
tischen Bewegung der achtziger Jahre zurück, die einerseits hie und 
da die wirtschaftliche Lage der Juden verschlimmerte und das An 
schwellen der Auswanderung nach Amerika zur Folge hatte, anderer 
seits die preußische Regierung dazu veranlaßte, dem Zustrom der jü 
dischen Einwanderer aus Rußland mit eiserner Hand Einhalt zu ge 
bieten (symptomatisch hierfür waren die Massenausweisungen im 
Jahre 1886 und in den folgenden Jahren). Indessen wirkten sich hier 
bei auch tiefer wurzelnde sozial-kulturelle Ursachen aus. Gerade in 
dieser Epoche setzte nämlich unter den deutschen Juden ein starker 
Geburtenrückgang ein: seit den achtziger Jahren sank die auf je tau 
send jüdische Einwohner entfallende Zahl der Geburten von 37 jähr 
lich nach und nach auf 22, während sich die entsprechende Geburten 
1 ) Die vorstehenden wie die folgenden größeren Zahlen sind durchweg auf 
volle Tausend abgerundet.
	        
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