Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

§ 45. Deutschland (1901—191U) 
werden. Der seinerzeit gegründete „Verein zur Abwehr des Antisemi 
tismus“ sowie der „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen 
Glaubens“ waren ihren Zielen keinen Schritt näher gekommen. Die 
Ermahnungen der christlichen Führer der ersten Vereinigung hatten 
die Antisemiten ebensowenig bekehrt wie die Apologien und Gerichts 
klagen des „Centralvereins“. Es wurde allmählich klar, daß es nicht 
auf die Erweichung der bösen Affekten verfallenen Herzen, sondern 
auf aktive Selbsthilfe ankomme. Zu einer solchen Selbsthilfe eben rief 
die deutsche Judenheit der Geschichtsschreiber und Führer der Ber 
liner Gemeinde Martin Philippson auf, der Sohn des bekannten Publi 
zisten Ludwig Philippson. Er regte die Einberufung eines „Juden 
tages“ und die Schaffung eines ständigen politischen Organs an, das 
die früher erlangte Gleichberechtigung auf dem Papier zu einer prak 
tisch wirksamen Errungenschaft ausbauen sollte. In dem von ihm 
1901 an die jüdische Öffentlichkeit gerichteten Aufruf schlug Phi 
lippson Töne der Selbstbezichtigung an: „Wir suchten alles zu ver 
meiden — so ließ er sich vernehmen — was uns vor der Welt als 
Juden erscheinen ließ. Wir sorgten nur dafür, nicht allzusehr aufzu 
fallen, niemand an unsere selbständige Existenz zu erinnern. Was wir 
erreicht haben, weiß jedermann. Eben auf die Feiglinge, die sich 
hinter dem Busch verborgen hielten, ergoß der Antisemitismus sein 
ganzes Maß von Haß, Verachtung und Barbarei“. Die deutsche Ju 
denheit müsse nun, wie er weiter ausführte, eine eigene politische 
Organisation schaffen, die gegen die Minderung der jüdischen Bür 
gerrechte mit allen gesetzlichen Mitteln, durch Einwirkung auf die 
Reichsregierung und den Reichstag sowie die Regierungen und Land 
tage der einzelnen Länder anzukämpfen hätte; bei den Parlaments 
wahlen müßten die Juden ihre Stimme nur für die Kandidaten der 
jenigen Parteien abgeben, die sich für die Gleichberechtigung der 
Juden einsetzten. Die Anregung Philippsons rief freilich bei vielen 
assimilierten Juden, diesen „innerlich Geknechteten“, die Befürchtung 
wach, daß man sie des politischen Separatismus zeihen würde und 
daß sie sich die Sympathien der gemäßigten Liberalen, die ja 
einem nur gemäßigten Antisemitismus huldigten, verscherzen wür 
den. Um so lebhafteren Anklang fand der Gedanke des politischen 
Zusammenschlusses in jenen jüdischen Kreisen, in denen man zwi 
schen Assimilation und Zionismus schwankte. Nach längeren Vor 
bereitungen wurde schließlich 1904 ein neuer „Verband der deut
	        
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