Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

Die kleineren Zentren bis 1900 
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Anklagebank zu bringen. Dies war der Hintergrund der berühmten, 
1894 in Szene gesetzten Dreyfus-Affäre, die in Frankreich zum Mit 
telpunkt heftigster politischer Kämpfe werden und die ganze gesittete 
Welt Jahre hindurch in atemloser Spannung halten sollte. 
§ 24. Die Dreyfus-Affäre 
Der Fall Dreyfus hatte seine Wurzeln in dem Morast des Militaris 
mus und der Revanchepolitik. Auf dem europäischen Festland stan 
den damals, Gewehr bei Fuß, zwei Mächtegruppen einander gegen 
über, der Drei- und der Zweibund, deren gegenseitige Beziehungen 
von schärfstem Mißtrauen erfüllt waren. Die den Botschaften der 
Großmächte attachierten Militäragenten waren unablässig bemüht, 
hinter die militärischen Geheimnisse der Gegenseite zu kommen. Ein 
solcher geheimer Nachrichtendienst war auch bei der deutschen Bot 
schaft in Paris eingerichtet, und der französische Generalstab ver 
fügte seinerseits über ein Abwehrorgan, ein Büro der Gfegenspio- 
nage. Eines Tages, im September 1894, unterbreitete nun das fran 
zösische Nachrichtenbüro dem Kriegsminister Mercier ein aus der 
deutschen Botschaft entwendetes, von unbekannter Hand aufgesetztes 
Schriftstück, das ein Verzeichnis („Bordereau“) der den Deutschen 
ausgelieferten Abschriften von Geheimdokumenten des französischen 
Kriegsministeriums enthielt. Es folgte daraus, daß sich in die für 
die militärische Sicherheit des Landes verantwortliche Stelle ein Ver 
räter eingeschlichen habe, und der Verdacht richtete sich alsbald ge 
gen den jungen, seit kurzem im Generalstab dienstlich tätigen jüdi 
schen Offizier Alfred Dreyfus. Im Jahre 1859 als Sohn eines Fa 
brikanten im Elsaß geboren, absolvierte Dreyfus das Pariser Poly 
technikum und diente sodann bei der Artillerie, in der er es bis zum 
Hauptmann brachte. Von militärischem Ehrgeiz erfüllt, bahnte ersieh 
hierauf den Weg in den Generalstab, die Hochburg der französischen 
Chauvinisten, in die bisher kein einziger Jude Zutritt gefunden hatte. 
Seiner Vaterlandsliebe und militärischen Begabung war somit volle 
Anerkennung zuteil geworden, und, stolz auf seinen Erfolg, versah 
nunmehr der Sohn des Tuchfabrikanten den Dienst in der Werkstatt 
der Kriegsrevanche. Er ahnte nicht, daß er von Feinden umringt war. 
Als man nach dem Urheber des „Bordereau“ zu fahnden begann, fiel 
der Verdacht auf Dreyfus nur aus dem Grunde, weil er Jude war.
	        
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