Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

§ 10, Die außereuropäischen Länder 
habende Schicht der jüdischen Gemeinden, während die autochthonen 
arabischen Juden (die sogenannten „Mustaraber“) dem Proletariat 
angehörten. In Persien kam dagegen mehr der Stamm der in Mittel 
asien alteingesessenen Juden zur Geltung, die auch in Turkestan, in 
der Bucharei und in Kaukasien verstreut lebten. Das Los dieser elen 
den Überreste des einstigen orientalischen Zentrums der Judenheit 
ist uns bereits bekannt (Band VII, § 60). Die jüdische Bevölkerung 
war hier dem doppelten Druck des muselmanischen Fanatismus und 
des orientalischen Despotismus ausgesetzt. Jede der Provinzen hatte 
ihr eigenes System der Rechtlosigkeit und Willkür. Bald sogen die 
Satrapen die Bevölkerung auf „friedliche“ Weise aus, indem sie die 
Reichen ihres Überflusses und die Armen der letzten Habe beraub 
ten, bald wieder brachen sie in die Juden viertel ein, um sie mit 
bewaffneter Hand zu verwüsten. Die eingeschüchterten und entmutig 
ten Gemeinden suchten sich in den verschiedenen Satrapien der je 
weils außerhalb des Ghettos herrschenden Ordnung anzupassen, in 
dem sie sich zugleich bemühten, ihr dumpfes Leid hinter seinen 
dicken Mauern zu verbergen. 
In dem unter türkischer Herrschaft zu einer einzigen Trümmer 
stätte gewordenen Palästina sind es die Nekropolen, die Totenburgen, 
um die sich die Tausende der im Lande ansässigen jüdischen Fa 
milien scharen, gleichsam die Ehrenwache der geheiligten Gräber bil 
dend und von aus dem Abendlande zufließenden frommen Spenden 
ihr Dasein fristend. Jerusalem, Hebron, Safed und Tiberias stellen 
die Tetrarchieen des gottesfürchtigen Bettlertums dar. Einstmals führ 
ten hier allein der Rabbinismus und die asketische Kabbala das Zep 
ter; gegen Ende des XVIII. Jahrhunderts dringt jedoch in diese 
düsteren Ghettowinkel die lebenskräftigere Mystik der Chassidim aus 
der neuen Schule des Beseht, die namentlich in Tiberias und in 
Hebron größere Zentren bildet. Dies war die „Reform“, zu der 
allein sich das dunkle, traumverlorene Reich emporzuschwingen ver 
mochte . . . 
Ringsherum aber, durch die schier endlosen Gebiete Syriens, 
Mesopotamiens, Ägyptens und der Berberei, zieht sich eine lange 
Kette jüdischer Siedlungen hin: stumme Zeugen großer geschicht 
licher Umwälzungen und einer verschollenen Zivilisation. Die Sturzflut 
von Barbarei, Gewaltherrschaft und Fanatismus, die sich über dieses 
ganze Mittelmeergebiet ergossen hatte, verwandelte die Geburtsstätte 
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