Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

§ 4. Polen nach der ersten Teilung 
die Juden selbst. Die Lage des zwischen dem verschwenderischen, sich 
seinen Launen hingebenden Gutsherrn und dem elenden Fronknecht 
eingezwängten Pächters war überhaupt wenig beneidenswert. War er 
doch für den Gutsbesitzer gleichfalls nur ein Diener, dem kaum 
bessere Behandlung zuteil wurde als dem leibeigenen Bauern. Wie 
oft kam es vor, daß der Pächter von dem Gutsherrn nur deshalb ver 
prügelt wurde, weil Wege und Brücken im betreffenden Gutsbezirk 
manches zu wünschen übrig ließen; auch war es den leichtblütigen 
Herrschaften ein besonderes Vergnügen, mit dem jüdischen Pächter 
und dessen Angehörigen in rohester Weise Spott zu treiben. So fin 
det sich in dem Tagebuch eines wolhynischen Gutsbesitzers die fol 
gende Aufzeichnung aus dem Jahre 1774* «Der Pächter Herschko ist 
mir die bereits seit dem vorigen Zahlungstermin fälligen einund 
neunzig Taler schuldig geblieben und ich sah mich veranlaßt, zur 
Zwangsbeitreibung zu schreiten. Einer vertraglichen Bestimmung zu 
folge steht mir im Falle des Zahlungsversäumnisses das Recht zu, 
ihn mit Frau und Kindern so lange eingesperrt zu halten, bis die 
Schuld bereinigt sein würde. So befahl ich denn, ihn in Fesseln zu 
legen und in einen Schweinestall zu stecken, wohingegen ich der Frau 
und den Bachurim (den jungen Leuten) die Erlaubnis gab, im Wirts 
haus zu verbleiben; nur den jüngsten Sohn Leiser ließ ich auf den. 
Gutshof bringen und gebot ihn im Katechismus und in den Gebeten 
zu unterweisen . . .“ Der Knabe wurde genötigt, sich zu bekreuzen 
und Schweinefleisch zu essen, und wäre der Zwangstaufe verfallen, 
wenn nicht Juden aus Berditschew für den ruinierten Pächter einge- 
sprüngen wären, um Vater und Sohn aus der Gefangenschaft zu be 
freien. 
Was zwang aber die große Masse der Juden, den Beruf des Land 
pächters und Schankwirtes zu ergreifen? Die Hälfte aller Handwerker 
und die überwiegende Mehrzahl der Handelsvermittler stellend, ver 
mochte die jüdische Stadtbevölkerung ihre Existenz durch diese Er 
werbszweige allein nicht zu sichern. Die christlichen Zünfte und 
Gilden verweigerten den Juden in Polen, ebenso wie im Westen, 
die Aufnahme und engten so den Bereich ihrer Wirtschaftstätig 
keit noch weiter ein. In der Mehrzahl der Städte hing es von 
dem Gutdünken des durch die Stadtverwaltung repräsentierten christ 
lichen Bürgertums ab, seinen jüdischen Rivalen Handels- und Ge 
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