Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

Das neue Zentrum in Rußland 
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waren, die jüdische Bevölkerung im Sinne der ihnen erteilten politi 
schen Instruktionen zu beeinflussen. Im Juni i8i4 ließ der in 
Deutschland (in Bruchsal) weilende Alexander I. durch Vermittlung 
dieser Deputierten „den jüdischen Kahalen sein aller gnädigstes Wohl 
wollen“ kundtun sowie seine Absicht, in Bälde „einen Beschluß über 
die Wünsche und Bitten der Juden in bezug auf eine zeitgemäße Ver 
besserung ihrer Lage“ zu fassen. Solange Alexander I. noch unter 
dem Eindruck der Nachrichten über die patriotische Stimmung der 
Juden stand, mochte er in der Tat nicht abgeneigt gewesen sein, ihr 
Los zu erleichtern. Die allgemeine politische Reaktion, die nach dem 
Wiener Kongreß in Rußland ebenso wie in ganz Europa eingetreten 
war, sollte indessen auch für die russischen Juden verhängnisvoll 
werden. 
§ 49. Das wirtschaftliche Leben. Die ersten landwirtschaftlichen 
Kolonien 
Die politischen Krisen dieser Übergangsepoche mußten unausbleib 
lich auch im wirtschaftlichen Leben der russisch-polnischen Juden 
schwerste Erschütterungen nach sich ziehen. Die jüdische Bevölke 
rung Westrußlands zerfiel damals in zwei ungleiche Teile: die grö 
ßere Hälfte war in Städten und Flecken ansässig, die kleinere auf 
dem flachen Lande. Die Bemühungen der Regierung, die ganze jü 
dische Masse in die städtischen Stände einzugliedern und zugleich eine 
neue Schicht von jüdischen Ackerbauern zu schaffen, blieben zwar 
erfolglos, doch wurde hierdurch das schon ehedem nur schwer auf 
rechterhaltene Gleichgewicht zwischen der jüdischen Wirtschafts 
tätigkeit in der Stadt und auf dem Lande vollends gestört. 
Der städtische Jude war Händler, Handwerker oder Schankwirt. In 
den meisten Städten des Ansiedlungsrayons überwog das jüdische 
Kleinbürgertum bei weitem das christliche. Den Ausschlag gaben un 
ter den jüdischen Geschäftsleuten allenthalben die Kleinhändler; zu 
gleich traten jetzt aber immer häufiger auch wohlhabendere Kauf 
leute hervor, die die ausländischen Messen, vornehmlich die Leipziger 
und Königsberger, zu besuchen pflegten, wo sie einerseits russische 
Erzeugnisse (Felle, Rauchwaren und sonstige Rohprodukte) absetzten, 
andererseits Manufakturwaren einkauften. Daneben standen viele jü 
dische Kaufleute, namentlich aus Litauen und Weißrußland, in regem
	        
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