Die digitale Landesbibliothek Oberösterreich

§ 48. Der Krieg von 1812 
375 
Nahrung gezogen hatte, in nur noch größere Not gestürzt worden 
ist“. „In Anbetracht dieser Lage eines ganzen Volkes und angesichts 
der Befürchtung, daß die weitere Anwendung der Zwangsmaßnahmen 
unter den gegenwärtigen politischen Umständen das ohnehin aufs 
äußerste bedrängte Volk vollends erbittern könnte“, hielt es nun das 
Komitee für geboten, „der herrschenden Konfusion durch Belassung 
der Juden an den alten Wohnsitzen und durch Freigabe der auf 
Grund des Artikels 34 stillgelegten Gewerbe mit aller Entschiedenheit 
ein Ende zu machen“. 
Die Regierung gab nach. Sie ließ sich hierzu wohl weniger 
durch die im Komitee-Bericht enthaltene vernichtende Kritik des 
geltenden Systems der staatlichen Bevormundung bewegen, als 
durch jene „politischen Umstände“, auf die am Schluß des Be 
richtes verwiesen worden war. Gegen Rußland war die Armee Napo 
leons im Vormarsch: es begann der große russische Krieg, der bald 
zu einem europäischen werden sollte. In dem Augenblick, als das 
ganze westliche Rußland von der französischen Heeresmacht über 
flutet wurde, erschien es höchst gefährlich, in den bedrohten Pro 
vinzen der Empörung der Gehetzten neue Nahrung zu geben. So trat 
denn in dem Los der Dorfjuden eine günstige Wendung ganz von 
selbst, ohne besonderen kaiserlichen Ukas ein. Das schwer heimge 
suchte und bis in seine letzten Tiefen aufgewühlte Land bedurfte zu 
seiner Rettung der Anspannung der Kräfte aller seiner Einwohner, 
darunter auch der Juden. 
§ 48. Der Krieg von 1812 
Die Rolle der Juden im Kriege von 1812 war keineswegs so un 
bedeutend, wie man es auf Grund der Tatsache, daß sie damals in 
Rußland noch nicht militärpflichtig waren, gewöhnlich anzunehmen 
pflegt. Bildete doch das westliche Rußland, vor allem Weißrußland 
und Litauen, deren Städte, Flecken und Dörfer eine dichte jüdische 
Bevölkerung aufwiesen, den Schauplatz des großen Krieges. Von den 
Sympathien der Landesbevölkerung für die eine oder andere der krieg- 
führenden Parteien hing aber nicht selten der Erfolg oder Mißerfolg 
der in dieser Gegend operierenden Truppen ab. Während nun die 
Polen in der Mehrzahl bekanntlich auf der Seite Napoleons standen, 
von dem sie die Wiederherstellung des polnischen Reiches erhofften,