Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

§ 46. Das Statut von 180U 
stimmte Nutzfläche zugeteilt erhalten und sich in den ersten Jahren der 
Steuerfreiheit erfreuen sollte. Schon bald stellte sich jedoch heraus, 
daß die vom Gesetz geschlagene Wunde viel zu tief war, um durch 
die von ihm vorgeschriebene Kur wieder geheilt werden zu können: 
während aus dem ländlichen Handel Hunderttausende hinausgedrängt 
wurden, die von jeher ganz und gar auf ihn angewiesen gewesen 
waren, konnten im Laufe der nächsten Periode dem neuen Erwerbs 
zweig, dem Ackerbau, nur verschwindend kleine Gruppen der jü 
dischen Bevölkerung zugeführt werden. Neben dem Ackerbau erhob 
das Gesetz auch Industrie und Handwerk in den Rang von be 
günstigten Erwerbsarten; es befreite die jüdischen Fabrikanten und 
Handwerker von der Entrichtung der doppelten Steuer und verhieß 
obendrein den Begründern der „unentbehrlichsten Fabriken“ staat 
lichen Kredit. In die letzte, nur „geduldete“ Kategorie wurden die 
Kaufleute und Kleinbürger verwiesen. Den Fabrikbesitzern, Hand 
werkern und Kaufleuten wurde es gestattet, sich vorübergehend zu 
Geschäftszwecken „in den inneren Gouvernements und selbst in den 
Residenzstädten“ aufzuhalten, jedoch nur „soweit sie mit von den 
Gouverneuren bewilligten Pässen ausgerüstet sein würden“, die sonst 
nur für Auslandsreisen ausgestellt zu werden pflegten. 
Das Kapitel des Statuts, das die Überschrift: „Die bürgerliche 
Einrichtung der Juden“ trug, unterstellte sie einerseits den Magi 
straten sowie den allgemein staatlichen Polizei- und Gerichtsinstanzen, 
räumte ihnen aber andererseits das Recht ein, Rabbiner und „Kahal- 
leute“ zu wählen. Die Wahlen sollten alle drei Jahre stattfinden und 
die Gewählten jedes Mal von den Gouvernementsbehörden neu be 
stätigt werden. Den Rabbinern wurde in besonderen Artikeln die Be 
fugnis zuerkannt, die Beobachtung „der religiösen Gebräuche zu über 
wachen und in allen mit der Religion zusammenhängenden Sachen 
Recht zu sprechen“, zugleich aber streng untersagt, den „Fluch“ 
oder Bann („Cherem“) in Anwendung zu bringen. Die Kahale hin 
wiederum waren verpflichtet, für den regelrechten Eingang derSlaats- 
steuern Sorge zu tragen. So mußte denn die jüdische Gemeinde 
autonomie bei der Erfüllung ihrer mannigfaltigen Aufgaben gleich 
zeitig zwei heterogenen Prinzipien: der Religion und dem Fiskus, 
Gott und dem Mammon, gerecht werden. 
Einen westeuropäischen Anstrich sollte der i8o4 den Juden ok 
troyierten Verfassung deren erstes Kapitel: „Über die Aufklärung“ 
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