Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

Einleitung 
32 
in den Ausweisen der amtlichen Statistik bildete das Gesetz, demzu 
folge die Juden beim Eingehen einer Ehe die Genehmigung des öster 
reichischen Statthalters einholen mußten (1773), die jedoch nur Be 
mittelten gegen die Entrichtung einer hohen Ehesteuer erteilt zu wer 
den pflegte. Diese Maßnahme reichte freilich nicht dazu aus, die nach 
den altväterlichen Sitten lebenden galizischen Juden von der Befolgung 
des „Vermehrungsgebotes“ abzubringen, doch nötigte sie die Ent 
rechteten, den Standesbeamten zu meiden und bei den neu veranstal 
teten Zählungen nicht die volle Familienzahl anzugeben. Am schwer 
sten traf die Juden das Verbot, sich mit dem Schankgewerbe sowie 
mit der Pacht von Landgütern zu befassen (1776), Gewerbearten, 
durch die sich nicht weniger als der dritte Teil der gesamten galizi 
schen Judenheit ernährte. Als Joseph nach dem Ableben seiner Mut 
ter zur Alleinherrschaft gelangt war, zeigte er die Neigung, Repressiv 
maßnahmen von Zeit zu Zeit Reformen folgen zu lassen, hielt in 
dessen in bezug auf Galizien unentwegt an der Ansicht fest, daß der 
Verbesserung der bürgerlichen Lage der dortigen Juden ihre Um 
formung nach neuen Erziehungsgrundsätzen vorangehen müsse. So 
untersagte er im Jahre 1785, jungen Leuten, die nicht in der Lage sein 
würden, ein Zeugnis über die Absolvierung einer deutschen „Normal 
schule“ vorzulegen, die Ehelizenz zu erteilen (ein Jahr später wurde 
dieses Gesetz auch für Böhmen und andere Provinzen in Kraft ge 
setzt). Gleichzeitig nahm er von neuem die Verfolgung der jüdischen 
Landpächter und Schankwirte auf, in der Absicht, sie auf diese Weise 
zu produktiver Bodenbestellung zu zwingen; die Folge war aber nur 
die, daß, abgesehen von einem Häuflein jüdischer Familien, die man 
für den Ackerbau gewonnen hatte, viele Tausende um ihren Lebens 
unterhalt gebracht wurden. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, daß 
sich die große jüdische Masse über Nacht in ein Bauernvolk ver 
wandelte, und obendrein stand der Regierung nicht genügend Sied 
lungsland zur Verfügung, um außer den damals zur Kolonisation des 
Polen entrissenen Grenzlandes herangezogenen Deutschen auch noch 
die Juden als Ackersleute ansiedeln zu können. 
Im Jahre 1789 entschloß sich endlich Joseph II., die Judenheit 
Galiziens mit einem besonderen „Toleranz-Patent“ zu beglücken, das 
nicht nur ihre bürgerlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse, 
sondern auch ihr inneres, ja sogar ihr geistiges Leben einer pein 
lichen Reglementierung unterzog. Der Kaiser machte aus seinem End-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.