Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

§ 3. Die Experimente Josephs II. in Österreich 
bild eines abgeschlossenen „Judenstaates“ im Kleinen dar. Daneben 
behauptete sich im mährischen Nikolsburg noch immer die Institution 
des „Landesrabbinats“. 
Besonders schwere Folgen sollten die reformatorischen Experi 
mente Josephs II. in Galizien haben. Achtzehn Jahre lang (1772 bis 
179°) arbeitete man hier an der Zerstörung der in den vielen Jahr 
hunderten der polnischen Herrschaft allmählich entstandenen wirt 
schaftlichen und sozialen Ordnung. Durch Dekrete der Wiener Hof 
burg glaubte man das ganze Gefüge des Volkslebens in dem neuange- 
gliederten Lande mit einem Schlage umgestalten zu können, und so 
brachte man Tausende und aber Tausende von Menschen, statt sie zu 
„bessern“, an den Rand völligen Ruins. Über die Panikstimmung, die 
sich in dieser Übergangszeit der galizischen Juden bemächtigt hatte, 
geben die wilden Sprünge der durch die amtlichen Volkszählungen 
ermittelten Ziffern Aufschluß. Nach der Zählung von 1773 beher 
bergte Galizien 224980 Juden, ein Jahr später sank diese Zahl auf 
171850, um nach Ablauf von drei weiteren Jahren sogar bis auf 
144 200 herunterzugehen; im Jahre 1780 betrug die Gesamtzahl der 
galizischen Juden bereits wieder i5i 302 1 ), im Jahre 1782 — 
172 42 4, im Jahre 1785 — 212 002 und ein Jahr später — 2i5 447- 
Die Tatsache, daß in den ersten Jahren der österreichischen Herr 
schaft ein ganzes Drittel der jüdischen Bevölkerung Galiziens ver 
schwunden war, erklärt sich aus dem Übereifer, mit dem Maria The 
resia und Joseph II. ihre Experimente ins Werk setzten. Durch die 
außerordentlich große Zahl der Juden und die Anomalie ihrer wirt 
schaftlichen Verhältnisse in Schrecken versetzt, verlegten sich die bei 
den Regenten zunächst auf die Reduzierung der jüdischen Bevölke 
rung mit Hilfe von Repressivmaßnahmen. Es wurde verfügt, die Kopf 
steuer bei den Juden mit besonderer Strenge einzutreiben, die Mittel 
losen aber über die Grenze zu jagen. Tausende solcher Verbannten 
wandten sich hierauf nach den benachbarten Gebieten Polens, doch 
verwehrten die polnischen Behörden den dichten Massen der Heimat 
losen den Grenzübertritt, und so sahen sich die zwischen den beiden 
Reichen eingeklemmten Wanderer gezwungen, die Anmeldungsvor 
schriften zu umgehen und sich illegal niederzulassen. Einen weiteren 
Grund für die Verringerung der Zahl der jüdischen Landesbewohner 
!) In Band VII, S. 292 ist diese auf iöoooo abgerundete Zahl als Durchschnitt 
angegeben worden; genauer müßte es heißen: „iöoooo bis 225 000“. 
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