Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

§ 2. Die Rechtlosigkeit und die Aufklärung in Deutschland 
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genommen. Man näherte sich ihm, man fragte, er antwortete kurz 
und artig; er wolle dableiben, um Kants Bekanntschaft zu machen. 
Nur sein Erscheinen konnte endlich den Lärm beschwichtigen. Sein 
Vortrag lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit auf andere Dinge, und 
man ward so hingerissen, so versenkt in das Meer von neuen Ideen„ 
daß man der Erscheinung des Juden längst nicht mehr gedachte, als 
dieser nach beendigtem Kollegium sich mit einer Heftigkeit, die mit 
seinem früheren Gleichmute seltsam kontrastierte, durch die Menge 
drängte, um zum Katheder zu gelangen. Die Studierenden bemerkten 
ihn kaum, als wieder das höhnische Gelächter erschallte, das aber 
sogleich einer stummen Bewunderung wich, da Kant, nachdem er 
einen Augenblick den Fremden bedeutend betrachtet und dieser einige 
Worte gesagt hatte, ihm mit Herzlichkeit die Hand drückte und dann 
in seine Arme schloß. Wie ein Lauffeuer ging es durch die Menge: 
,Moses Mendelssohn! Es ist der jüdische Philosoph aus Berlin! 4 und 
ehrerbietig bildeten die Schüler eine Gasse, als die beiden Weltweisen 
Hand in Hand den Hörsaal verließen“. 
Bei all ihrer den Juden gegenüber gehegten Verachtung machte eben 
die deutsche gebildete Welt für einzelne Personen eine Ausnahme. Ein 
gewisser Teil der Gebildeten stand unter dem mächtigen und humanisie 
renden Einfluß des 1779 erschienenen Lessingschen Dramas „Nathan 
der Weise“. Der Jude wurde in diesen Kreisen nicht mehr schlechtweg 
mit dem Kleinhändler identifiziert, vielmehr erkannte man in ihm im 
mer häufiger den Träger einer tiefen intellektuellen und ethischen Kul 
tur. Nicht wenige ließen sich daneben durch das bereits erwähnte Werk 
von Dohm zu der Überzeugung bringen, daß die scheinbare Minder 
wertigkeit der jüdischen Volksmasse und ihre soziale Verkapselung 
vornehmlich auf ihre Entrechtung und bürgerliche Degradierung zu 
rückzuführen sei. In der vornehmen Gesellschaft von Berlin war eine 
fortschreitende Annäherung zwischen Juden und Christen zu bemer 
ken. Es war dies nicht mehr jener vertraute Umgang, den vereinzelte 
Denker und literarische Größen aus dem Kreise um Lessing und 
Nicolai in der bescheidenen Häuslichkeit eines Mendelssohn pflogen; 
der „Berliner Salon“, der in den achtziger Jahren des XVIII. Jahr 
hunderts entstand, war v5r allem der Treffpunkt der christlichen und 
der jüdischen Aristokratie. Diese, die jüdische Geldaristokratie, war 
das jüngste Produkt der damaligen wirtschaftlichen Ordnung. Wäh 
rend die große Masse der Juden zu einer wirtschaftlichen Schein
	        
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