Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

Der Emanzipations- und Kulturkampf in Deutschland 
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Herrschaft stehenden jüdischen Gemeinden die Einführung einer 
neuen Verfassung dekretieren konnte. Es war dies zwei Wochen nach 
Veröffentlichung des Napoleonischen Dekrets über die Konsistorial- 
verfassung für die Judenheit Frankreichs. In der Einleitung zu dem 
in Westfalen ergangenen Dekret wurden die von ihm verfügten Neue 
rungen in der folgenden bemerkenswerten Weise begründet: „Inso 
fern die Juden gleich unseren übrigen Untertanen die Freiheit der 
Ausübung ihres Kultes genießen, muß dieser, ebenso wie alle anderen 
Kulte, unserer (königlichen) Kontrolle unterstellt sein, damit er nicht 
in Widerspruch mit der Gesetzgebung und mit jener öffentlichen 
Moral gerate, die allen ohne Unterschied als Richtschnur dienen und 
sie zu einer einheitlichen politischen Gemeinschaft vereinigen soll. 
Die Juden dürfen nicht länger eine Sonderkörperschaft (un corps ä 
part) bilden, sondern müssen, dem Beispiel unserer übrigen, den ver 
schiedensten Konfessionen angehörenden Untertanen folgend, in der 
Nation aufgehen (se fondre dans la nation), deren Glieder sie sind“ 1 ). 
In Ausführung dieses Grundgedankens schrieb das Dekret vor, in 
Kassel, der königlichen Residenz, ein jüdisches Konsistorium zu be 
gründen, dem außer dem Vorsitzenden drei Rabbiner und zwei ge 
lehrte Laien angehören sollten. Die Mittel für den Unterhalt der neu 
geschaffenen Institution sollte indessen nicht der Staat, sondern der 
Verband der Gemeinden auf bringen. Wie in Frankreich hatte das 
Konsistorium für sämtliche religiöse Angelegenheiten der Gemeinden, 
darunter auch für den „Religionsunterricht“ Sorge zu tragen; ins 
besondere wurde es verpflichtet, den Rabbinern und Lehrern einzu 
schärfen, daß sie „Gehorsam den Gesetzen, namentlich denjenigen 
gegenüber, die sich auf die Vaterlandsverteidigung beziehen, zu pre 
digen hätten, sowie darüber zu belehren, daß der Militärdienst eine 
heilige Pflicht sei, deren Erfüllung von der Beobachtung aller mit 
diesem Dienste unvereinbaren religiösen Gebräuche entbinde“. 
Gegen Ende des Jahres 1808 trat das Konsistorium zu Kassel 
zusammen. Zu seinem Präsidenten wurde von der Regierung Israel 
Jacobson ernannt, dem die gesetzlich vorgeschriebenen Beisitzer, drei 
Rabbiner und zwei Laien, auf Grund einer von ihm selbst getroffenen 
Wahl zur Seite gestellt wurden (eines dieser weltlichen Mitglieder war 
*) Es tritt hier mit besonderer Klarheit die französische Auffassung des Be 
griffes „Nation“ als eines allumfassenden politischen, d. i. staatlich organisierten 
Gebildes zutage.
	        
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