Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Das französische Zentrum und die englische Kolonie 
hohe Gönnerschaft stützen konnten, im Wettstreit mit diesen den kür 
zeren ziehen. Der königliche Fiskus aber bestand nach wie vor auf 
seinen Forderungen: der König verlangte seinen Anteil an jenem Ge 
winn, den er selbst als gesetzwidrig erklärt hatte. Treffend bemerkt ein 
englischer Schriftsteller, daß die Juden Englands um jene Zeit unter 
dem gleichen Joche stöhnten, wie einst ihre Vorfahren in Ägypten, 
nur mit dem Unterschiede, daß man von ihnen jetzt statt Ziegel Gold 
barren forderte. Man könnte noch hinzufügen, daß die englischen Ju 
den gleich den ägyptischen allen Grund hatten, sich auch darüber zu 
beklagen, daß „man ihnen kein Stroh gebe und doch verlange, daß sie 
Ziegel machen“. Viele trieb die Not so sehr in die Enge, daß sie sich mit 
dem wenig ehrenvollen Geschäft der „Münzenbeschneidung“ befaßten, 
das damals übrigens auch unter den in England lebenden italienischen 
Geldwechslern und den flämischen Wollexporteuren weit verbreitet 
war. Im Jahre 1278 wurde eine große Zahl von Juden der Münzenver 
fälschung bezichtigt, wobei allein in London 293 Personen ihr Ende 
auf dem Schafott fanden. Obwohl auch viele Christen an dem Münz 
verbrechen mitbeteiligt waren, traf dennoch die Schwere des Gesetzes 
in erster Linie die Juden. 
Während sich der König so das Verfügungsrecht über die mate 
riellen Verhältnisse der Juden vorbehielt, überließ er ihre Seelen 
ganz der Fürsorge des Klerus, dessen Missionseifer er in jeder Weise 
unterstützte. Die „predigenden Brüder“ entfalteten nämlich um jene 
Zeit unter den verfolgten und ruinierten Juden eine tatkräftige Pro 
paganda, die anscheinend nicht ohne einigen Erfolg blieb. Das „Asyl 
für Neubekehrte“ war voll von Unglücklichen, die nicht so sehr um 
ihr Seelenheil besorgt waren, als vielmehr nach einer Zufluchtsstätte 
ausspähten, die sie vor Verfolgungen, Not und Hunger schützen sollte. 
Die von der magischen Wirkung ihrer Predigten überzeugten Missio 
nare warben aber ihre jüdischen Zuhörer nicht selten auf eine für 
Glaubensapostel wenig würdige Weise. Auf ihr Drängen ließ Eduard I. 
den Sheriffs und anderen Beamten einen Befehl zukommen, wonach 
die Juden zum Anhören der die Verirrungen des Judaismus enthüllen 
den Predigten der Dominikaner zwangsweise angehalten werden soll 
ten (1279). Ein berühmter Scholastiker, der Franziskaner Duns 
Scotus, fand für dieses System der gewaltsamen Erleuchtung der Un 
gläubigen nur Worte der Billigung. Er schlug sogar vor, den Juden 
ihre minderjährigen Kinder wegzunehmen, um sie im christlichen 
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