Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 4. Religiöse Disputationen und Verbrennung des Talmud 
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glied der ursprünglichen Untersuchungskommission, die talmudi- 
schen Bücher erneut daraufhin zu prüfen, welche von ihnen ohne 
Schaden für die Kirche den Juden zurückgegeben werden könnten 
(1247). Gleichzeitig erklärte der Papst dem König Ludwig in einem 
Schreiben, daß er, als Hohepriester der Kirche, die die Anhänger des 
Alten Bundes neben sich durchaus dulde, es für seine Pflicht halte, die 
Juden in Einklang mit ihren religiösen Gesetzen leben zu lassen. Die 
vom Papste empfohlene Milderung der Repressalien fand jedoch bei 
den Pariser Fanatikern keinen Anklang. In seinem Antwortschreiben 
suchte der päpstliche Legat Innocenz IY. davon zu überzeugen, daß 
der Talmud den Sinn der Bibel entstelle, daß die Rabbiner den Papst 
und die Kardinäle durch die Behauptung, die Bibel sei ihnen ohne 
den Talmud unverständlich, irreführten und daß es überdies ein 
öffentliches Ärgernis bedeuten würde, wenn man den Juden die noch 
unversehrt gebliebenen Abschriften der jüngst verdammten Bücher 
nun zurückgeben wollte. Schlechte Bücher — meinte er — müßten, 
auch wenn in ihnen manch guter Gedanke anzutreffen wäre, gleich 
bösen Menschen, gleich Ketzern vernichtet werden: wird doch auch 
ein Ketzer wegen der Verleugnung eines einzigen Glaubensdogmas, 
auch wenn er alle übrigen voll anerkennt, in Grund und Boden ver 
dammt. Trotz all dieser Bedenken — fügt der Legat hinzu — wolle 
er dem päpstlichen Befehl dennoch Folge leisten und die ihm von 
den Juden vorgelegten Abschriften einiger Talmudtraktate nochmals 
überprüfen. Die Revision wurde denn auch in einer neu eingesetzten 
Zensurkommission unter Beteiligung namhafter christlicher Theolo 
gen ohne Säumen vorgenommen; zu den Zensoren gehörte unter an 
deren der berühmte Dominikaner Albertus Magnus, der die Haupt 
elemente seines theologischen Systems („Summa Theologiae“) aus 
den philosophischen Werken des Maimonides und des Ibn Gabirol 
schöpfte. Wie nicht anders zu erwarten war, wurde auch in der neuen 
Kommission über den Talmud der Stab gebrochen. Ihr Vorsitzender, 
der Kardinal-Legat Odon, erklärte (im Mai 1248), daß das Werk von 
furchtbaren Verirrungen und Blasphemien strotze und daß es in einem 
christlichen Staate nicht geduldet werden könne. Von neuem setzte 
in verschiedenen französischen Städten die Jagd nach den jüdischen 
Büchern ein. Die Akten des Jahres i2Öo verzeichnen eine ganze Reihe 
solcher von den „predigenden Brüdern“ (Dominikanern) vollbrachten 
Heldentaten. Späterhin ließen die Verfolgungen allmählich nach: den
	        
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