Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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Osteuropa und der jüdische Orient 
Staatsgewalt gegenüber geriet Kapsali einst in einen scharfen Kon 
flikt auch mit offiziellen Vertretern des Judentums. Um i488 ttaf 
nämlich in Konstantinopel ein Rabbiner aus Jerusalem ein, der Kap 
sali um die Erlaubnis bat, in der Türkei für seine Landsleute Spenden 
sammeln zu dürfen. Das offizielle Haupt der türkischen Judenheit 
gab jedoch dieser Bitte aus politischen Erwägungen nicht statt: da 
Palästina damals unter der Herrschaft der von dem türkischen Sultan 
bekriegten ägyptischen Mamelucken stand, konnte die Kollekte zu 
gunsten der Palästinenser die Juden leicht in den Verdacht des Lan 
desverrates bringen. Die Gründe des Konstantinopeler Rabbiners wur 
den indessen mißverstanden, und sein Verbot löste nicht nur an Ort 
und Stelle, sondern sogar in Italien eine lebhafte Agitation gegen ihn 
aus. Der schon erwähnte Rabbiner von Mantua, Joseph Kolon, be 
zichtigte Kapsali der mangelhaften Kenntnis des Talmud und ins*- 
besondere der Mißachtung des Gesetzes in seiner Ehescheidungs 
sachen betreffenden Rechtsprechung. Es fanden sich jedoch andere 
Rabbiner, die die Grundlosigkeit all dieser Beschuldigungen nach 
wiesen und Kapsali das Zeugnis ausstellten, daß er nicht nur ein 
hervorragender Gelehrter, sondern auch ein wahrer Freund des Vol 
kes sei, so daß der zwei Jahre lang umstrittene gute Ruf des Kon 
stantinopeler Rabbiners schließlich völlig wiederhergestellt wurde. 
Um die gleiche Zeit machte sich in Konstantinopel auch unter den 
alteingesessenen Karäern ein regeres Leben bemerkbar. Die Vertreter 
der karäischen Gemeinde traten mit den ortsansässigen Talmud 
gelehrten in unmittelbaren Verkehr, manche begannen sogar den Tal 
mud zu studieren und waren bereit, den Rabbinern in der Thora 
erklärung weitestgehende Zugeständnisse zu machen. Zu den hervor 
ragendsten karäischen Glaubenslehrern jener Zeit gehörte Elias Ba- 
schizi, der Verfasser des karäischen Gesetzeskodex „Adereth Elijahu“, 
sowie sein Jünger Kaleb Afendopolo, der nicht nur ein hochgebildeter 
Theologe, sondern auch ein Dichter war. Baschizi unterhielt freund 
schaftliche Beziehungen mit dem Rabbiner Mardochai Comatiano 
(gest. um 1487), der sich sowohl als Mathematiker wie auch durch 
einen nach der Methode des Abraham ibn Esra abgefaßten und vo;n 
freiheitlichem Forschergeiste zeugenden Bibelkommentar einen Na 
men machte. Die von einigen Führern der Rabbaniten wie der Karäer 
bekundete Weitherzigkeit ließ bei vielen die Hoffnung erstehen, daß 
die beiden seit Jahrhunderten ihre eigenen Wege wandelnden Teile
	        
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