Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 66. Das neue Zentrum in der Türkei 
des Aufrufs sollten wohl dazu dienen, die Auswanderung nach der 
Türkei besonders verlockend erscheinen zu lassen. Viele beeilten sich 
auch in der Tat, dem ergangenen Rufe Folge zu leisten. In der zwei 
ten Hälfte des XV. Jahrhunderts erstand in Konstantinopel neben der 
alteingesessenen jüdischen Gemeinde eine Kolonie der aus Deutsch 
land und Österreich neu zugewanderten „Aschkenasim“. 
Das Haupt aller jüdischen Gemeinden in der Türkei war der er 
wähnte Moses Kapsali, der das Rabbineramt in Konstantinopel schon 
vor der Einnahme der Stadt durch die Türken innehatte und dann 
vom Sultan Mohammed II. zum Großrabbiner aller türkischen Ge 
meinden ernannt wurde. Es war dies der erste „Chacham-Baschi“ in 
der Türkei, der die Amtsobliegenheiten der ehemaligen morgenlän 
dischen Exilarchen versah und in seiner Würde dem christlichen 
Patriarchen ebenbürtig war. Der für den pünktlichen Eingang der 
den Juden auf erlegten Steuern vor dem Sultan verantwortliche Moses 
Kapsali verfügte in den inneren Gemeindeangelegenheiten über eine 
uneingeschränkte Gewalt. Ihm stand das Recht zu, die Rabbiner zu 
ernennen, in den wichtigsten Gerichtssachen zu entscheiden und auch 
Strafmaßnahmen anzuordnen. Aus den Berichten eines seiner Nach 
kommen, des bereits zitierten Chronisten des XVI. Jahrhunderts, ist 
zu ersehen, daß er vom Sultan manchmal auch in Staatsangelegen 
heiten zu Rate gezogen wurde. Eines Tages fragte der Sultan den 
Rabbiner, was zur Bekämpfung der in Konstantinopel ausgebrocher 
nen Pest zu geschehen habe, worauf Kapsali erwiderte, daß die Seuche 
eine Strafe Gottes für die in der Hauptstadt sich breitmachende Un 
zucht sei. Der Sultan befahl nun, alle stadtbekannten Wüstlinge aus 
findig zu machen und sie der Strafe zuzuführen und übertrug die 
Ausführung der Säuberungsaktion, soweit sie die jüdische Gemeinde 
betraf, dem Großrabbiner. Bald wurden auf Verfügung des Moses 
Kapsali eine Anzahl jüdischer junger Leute, die sich in Gesellschaft 
der zügellosen Janitscharen (der Sultangarde) Ausschweifungen hin 
zugeben pflegten, verhaftet und mit Stockhieben gezüchtigt. Die er 
bosten Janitscharen schworen, die ihren Freunden zugefügte Schmach 
an dem Rabbiner zu rächen. Während der von ihnen nach dem Tode 
des Sultans Mohammed (i48i) angezettelten Unruhen drangen sie in 
das Haus des Kapsali ein, um ihn niederzumachen, doch wurde $r 
von seinen türkischen Nachbarn noch rechtzeitig gewarnt und ent 
ging so dem sicheren Tode. — Infolge seines loyalen Verhaltens der 
.31 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. V 
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