Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

478 
Osteuropa und der jüdische Orient 
tan Murad I. (i36o—i38g) vermochten die Türken auch in Europa 
festen Fuß zu fassen. Die Einnahme von Adrianopel und der Sieg 
über die Serben bei Kossowo lieferten ihnen den größten Teil der 
Balkanhalbinsel aus, und für den europäischen Teil der Türkei bür 
gerte sich seitdem der Name Rumelien ein. Für die hier ansässige 
jüdische Bevölkerung erstand in der Gemeinde von Adrianopel und 
in deren Talmudschule ein neuer geistiger Mittelpunkt. Die ehemalige 
Umgangssprache der Juden Rumeliens, die griechische, wird jetzt von 
der türkischen immer mehr in den Hintergrund gedrängt. 
Die Annäherung an die Türkei brachte es mit sich, daß sich einige 
Juden von einer um jene Zeit entstandenen eigenartigen religiös-poli 
tischen Bewegung der Muselmanen mitreißen ließen: von der Er 
hebung der Derwische gegen den Sultan Mohammed I. (i4i8). Der 
türkische Theologe und Kadi (Richter) Bedreddin warb nämlich da 
mals in Kleinasien und Rumelien für eine schismatische Lehre, in 
der mohammedanische und christliche Glaubenselemente mit kommu 
nistischen Ideen verwoben waren. Die zur Sekte des Bedreddin ge 
stoßenen Derwische suchten der neuen Lehre nach muselmanischem 
Herkommen durch die Macht des Schwertes Geltung zu verschaffen 
und wiegelten die Bevölkerung gegen die bestehende Staatsgewalt auf. 
Zu den Führern der Bewegung gehörte auch ein zum Islam übergetre 
tener Jude Torlak Kemal, der eine Schar von dreitausend Derwischen 
befehligte und überall auf den Straßen und in den Moscheen mit 
glühendem Eifer den Kommunismus predigte: „Ich werde über dein 
Haus, deine Kleider und Waffen verfügen, du aber über die meini- 
gen; nur das Weib des anderen soll unangetastet bleiben“. Die An 
führer der aufrührerischen „Kommunisten“, Bedreddin, Torlak Ke 
mal und andere, wurden indessen bald ergriffen und auf Befehl 
des Sultans gehenkt. Revolutionär gesinnte Juden von dem Schlage 
eines Kemal waren allerdings unter der loyalen jüdischen Bevölke 
rung nur eine seltene Ausnahme. Im allgemeinen pflegten die Juden 
die Macht der Sultane nach Kräften zu unterstützen. So konnte unter 
Murad II. (1^21— i45i) der jüdische Arzt Isaak Pascha am Adria- 
nopeler Hofe zu großem Einfluß gelangen; als Leibarzt genoß er 
mitsamt seinen Angehörigen völlige Steuerfreiheit. Abgesehen von sol 
chen Einzelfällen mußten aber die Juden gleich allen Andersgläu 
bigen kraft des bekannten Korangebotes (vgl. Band III, § 55) 
den vorschriftsmäßigen Sondertribut entrichten. Bei der Veranlagung
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.