Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Das französische Zentrum und die englische Kolonie 
rückgängig zu machen, worauf die frohlockenden Juden die beschlag 
nahmten Bücher zurückerhielten. Indessen sollte ihr Jubel nur von 
kurzer Dauer sein: etwa ein Jahr später, als derselbe Prälat einst vor 
dem König erschien, empfand er plötzlich Schmerzen in den Ein- 
geweiden und fiel tot zu Boden; der König erblickte hierin eine Sühne 
für die von seinem Beichtvater den Juden gegenüber geübte Nach 
sicht und befahl das seinerzeit gefällte Urteil nunmehr unverzüglich 
an den jüdischen Büchern zu vollstrecken. An diesem Bericht mag 
nur das eine wahr sein, daß es den Juden gelungen war, die Ausfüh 
rung des Beschlusses der Pariser Kommission nahezu zwei Jahre hin 
auszuschieben. Im Jahre 1242 geschah jedoch das Unabwendbare: im 
Juni dieses Jahres wurden 24 Fuhren Talmudbücher auf einem Pa 
riser Platze abgeladen und öffentlich verbrannt. Die Kunde von der 
Verbrennung der heiligen Bücher erweckte unter den Juden aller Län 
der tiefste Trauer. Der deutsche Großrabbiner B. Meir aus Rothen 
burg verfaßte aus diesem Anlaß seine bekannte synagogale Elegie, die 
mit den folgenden rührenden Worten an die heilige Thora beginnt: 
„Frage nun, du vom Feuer Verzehrte, was aus denen geworden, die 
über dein furchtbares Los Tränen vergießen“ („Schaali serufa“). 
Auch in den Synagogen Frankreichs und Italiens wurde der Flammen 
tod der Thora in elegischen Gedichten betrauert. In Rom setzte man 
aus Anlaß der Pariser Katastrophe einen besonderen Fasttag fest. 
Der dem Papst Gregor IX. auf dem päpstlichen Stuhle gefolgte 
Innocenz IV. fand für das Vorgehen Ludwigs des Heiligen in seinem 
Kampfe gegen die „schädlichen Bücher“ der Juden zunächst nur 
Worte der Billigung. So bittet der Papst den König in einem Schrei 
ben (1244)- „Gib Befehl, daß diese Bücher in deinem ganzen Reiche, 
wo es auch sein mag, den Flammen preisgegeben werden“. Hierauf 
kam es von neuem zur Beschlagnahme der talmudischen Bücher in 
vielen jüdischen Gemeinden, und nach Paris sollte nunmehr die Pro 
vinz zum Schauplatz der Autodafes werden. Um jene Zeit kam der 
Papst gerade zu einem längeren Aufenthalt nach Lyon und die Rab 
biner benützten die Gelegenheit, um sich über die gewalttätige Ein 
mischung in das jüdische religiöse Leben bei ihm zu beschweren. Ohne 
den Talmud — so sprachen die Rabbiner — können wir die Bibel, 
die er auslegt, nicht studieren und somit auch den Gesetzen unserer 
Religion nicht Genüge tun. Innocenz IV. ersuchte nun den Pariser 
Kardinal-Legaten Odon, den ehemaligen Universitätskanzler und Mit 
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