Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Osteuropa und der jüdische Orient 
Das von den Genuesen bei den Tatarenchanen erworbene Theodossia 
oder Kaffa wurde von den tüchtigen italienischen Unternehmern zu 
einem erstklassigen Handelshafen ausgebaut. Durch diese Küstenstadt 
führte der große Handelsweg, der Italien über Konstantinopel mit 
dem Kaukasus und weiter mit Mittelasien verband. Während des zwei 
hundertjährigen Bestehens der genuesischen Kolonie in Kaffa (1260 
bis i475) weist diese Stadt und die Umgegend, die nach alter Ge 
wohnheit noch immer ^Chasarien“ genannt wird, eine bunte, aus 
Italienern, Griechen, Juden und Armeniern sich zusammensetzende 
Bevölkerung auf. Dem Zeugnis eines Reisenden (Schiitenberger) zu 
folge lebten in Kaffa zu Beginn des XV. Jahrhunderts Juden „zweier 
lei Art“ (Rabbaniten und Karäer), die zwei verschiedene Synagogen 
besaßen und etwa 4ooo Häuser ihr eigen nannten 1 ). Sie stammten 
wohl vorwiegend aus Byzanz, zum Teil aber auch aus anderen Län 
dern. Die Krimer Kolonie unterstand der Gewalt eines von der „Ver 
waltungsstelle für Chasarien“ (Officium Gasariae) in Genua ernann 
ten Konsuls. Die Regierung der Republik von Genua, die ihre Stamm 
lande den Juden gänzlich verschlossen hatte, wies ihre Konsuln in 
Kaffa wiederholt an, der vielstämmigen kolonialen Bevölkerung ge 
genüber Toleranz walten zu lassen. Im Jahre i449 wurde in Genua 
für Kaffa ein Statut erlassen, demzufolge dem katholischen Orts 
bischof, über dessen Übergriffe sich Griechen, Juden und Armenier 
in gleicher Weise beklagt hatten, jede Einmischung in die Angelegen 
heiten der Andersgläubigen untersagt wurde. Zugleich wurde es dem 
Konsul und dem Stadtrat von Kaffa zur Pflicht gemacht, den Besitz 
der Andersgläubigen vor allen Anschlägen in Schutz zu nehmen. Es 
war dies bereits die Zeit des Niederganges der italienischen Kolonie 
in der Krim. Die vor den Toren Konstantinopels stehenden Türken 
sperrten die Dardanellen für die genuesische Schiffahrt, was den 
1 ) Die auf die Synagogen bezügliche Nachricht findet eine Bestätigung in 
der aus späterer Zeit stammenden Mitteilung des Krimer Gelehrten David Lechno 
(1725), wonach die aus Sulchat (Altkrim) nach Kaffa gekommenen Juden dort, 
schon im Jahre i3o8 eine Synagoge erbaut hatten. Zu erwähnen ist noch, daß 
die in der Staatsbibliothek zu Petersburg aufbewahrte Sammlung des Karäers 
Firkowitsch unter anderem ein Manuskript des karäischen Gelehrten aus Sulchat 
Abraham Kirimi enthält, das, im Jahre i358 abgefaßt, in unzweideutiger Weise 
jüdisch-italienische Einflüsse verrät: die einen in rationalistischem Geiste abge 
faßten Bibelkommentar darstellende Schrift („Sefath Emeth“) beruft sich aus 
drücklich auf den italienischen Schriftsteller Schemaria Ikreti, der die Aus 
söhnung der Rabbaniten mit den Karäern anstrebte (oben, $ 61). 
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