Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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Osteuropa und der jüdische Orient 
Kasimierz (Kasimir) anwies. Sn entstand vor den Toren der Reichs 
hauptstadt ein abgeschlossenes jüdisches Städtchen, das Jahrhunderte 
hindurch, bis in das XIX. Jahrhundert hinein, ein streng abgeschiede 
nes Dasein führte und mit der „Außenwelt“ nur durch wirtschaft 
liche Beziehungen verbunden war. 
Im Gegensatz zu seinem Bruder zeigte sich der Großfürst von 
Litauen, Alexander, den Juden gegenüber zunächst durchaus ent 
gegenkommend. Im Jahre 1492 bestätigte er auf die Bitten der Ka- 
räer von Troki hin den ihnen von Kasimir dem Jagellonen verliehe 
nen Freibrief, dem er sogar manche neue Vergünstigungen hinzu 
fügte. Den litauischen Juden wurden nach wie vor verschiedene groß 
fürstliche Regale, insbesondere die Grenzzölle, bereitwillig in Pacht 
gegeben. Alexander löste die von seinem Vater jüdischen Finanziers 
gegenüber eingegangenen Verpflichtungen pünktlich ein und nahm 
keinen Anstand, auch selbst bei ihnen Anleihen aufzunehmen. Um so 
überraschender mußte angesichts eines solchen auf beiderseitigem 
Nutzen sich gründenden Verhältnisses das im Jahre i495 vom Groß 
fürsten erlassene Dekret wirken, das die Juden zum baldigsten Aus 
zug aus dem gesamten litauischen Herrschaftsbereiche aufforderte. Es 
bleibt unklar, ob die grausame Maßnahme durch den Einfluß der 
klerikalen Partei oder aber dadurch hervorgerufen wurde, daß der 
Fürst nebst den Magnaten, die bei den Juden stark verschuldet wa 
ren, ihre lästigen Gläubiger loswerden und sich vielleicht gar, gleich 
den französischen Königen der Vorzeit, an jüdischem Besitz be 
reichern wollten. Auch mochte hierbei das drei Jahre früher von 
Spanien gegebene Beispiel sowie die ständigen Ausweisungen aus ver 
schiedenen Städten des benachbarten Deutschland nicht ohne Ein 
wirkung geblieben sein. Wie dem auch sein mag, Tatsache ist, daß 
Fürst Alexander den gesamten unbeweglichen Besitz der aus den Be 
zirken von Grodno, Brest, Luzk und Troki ausgewiesenen Juden kur 
zerhand einziehen ließ und mit einem Teil der Beute ihre christ 
lichen Nachbarn beschenkte. Die Mehrzahl der Vertriebenen ließ sich 
mit Genehmigung des Königs Jan-Albrecht in den benachbarten pol 
nischen Städten nieder, während der Rest, namentlich die in Wol 
hynien und in Kiew Beheimateten nach der Krim zogen, mit dessen 
Handelszentrum Kaffa sie schon von früher her Beziehungen unter 
hielten. Kaum waren jedoch einige Jahre vergangen, als Alexander 
zusammen mit der ihm von seinem Bruder hinterlassenen polnischen
	        
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