Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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§ 63. Polen und Litauen unter Jagello und Witold 
geduldet werden, auch unsererseits Duldsamkeit entgegenzubringen; 
denn wollten wir ihnen unsere Protektion vorenthalten, so würden 
die Juden, von den Christen bedroht, nicht einmal ihres Lebens sicher 
sein und müßten wegen aller Art Bedrängnis, wegen Beleidigungen, 
Verleumdungen und Beschimpfungen schließlich aus unserem Reiche 
fortziehen“. Diese Worte wurden zu einer Zeit laut, als die böswilli 
gen „Verleumdungen“ an manchen Orten bereits schweres Unheil ge 
stiftet hatten. Der Triumphzug des Klerikalismus durch Polen nahm 
seinen Ausgang in der germanisierten Stadt Posen. 
Die Beziehungen zwischen den Juden und der Bürgerschaft hatten 
sich hier gegen Ende des XIV. Jahrhunderts bedrohlich zugespitzt, 
und so konnte das aus Deutschland kommende Märchen von der 
Hostienschändung in Posen eine blutige Ernte zeitigen. Im Jahre 
1399 wurden nämlich die Posener Juden beschuldigt, bei einer armen 
Christin drei in der Kirche geraubte Hostien gekauft, durchstochen 
und in eine Grube geworfen zu haben. Die geschändeten Hostien sol 
len hierauf in Gestalt dreier Schmetterlinge einem Hirten ihr Leid 
geklagt haben, und als sie dann aus der Grube hervor gezogen ‘wurden, 
begannen sie unverzüglich die gewohnten „Wunder“ zu wirken. Dies 
veranlaßte den Posener Bischof, gegen den Rabbiner und dreizehn 
Älteste der jüdischen Gemeinde ein Gerichtsverfahren einzuleiten, 
welches damit endete, daß die der Tortur unterzogenen Angeklagten 
schließlich zusammen mit der mitbeschuldigten Christin an Pfähle ge 
bunden und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Einige Jahre 
später verkündete der König Wladislaw Jagello in feierlichster Weise, 
daß „an dem Orte, wo der Leib Gottes aufgefunden wurde, zum 
Ruhme der göttlichen Allmacht und zu Ehren des allerheiligsten Lei 
bes unseres Herrn Jesu Christi der Grundstein zu einer Kirche samt 
einem Kloster gelegt worden“ sei (i4o6). Die heilige Stätte wurde 
so zu einem bevorzugten Wallfahrtsort, und das doppelte Ziel des 
„frommen Betruges“ ward erreicht: die Posener Bürgerschaft hatte 
an ihren Handelskonkurrenten Rache genommen, die Klosterbrüder 
verhalfen aber dem Dogma vom Leibe des Herrn zu neuem Ruhme 
und sicherten sich auf lange Zeit hinaus ein reichliches Einkommen. 
Konnten sie doch nicht darüber im Zweifel sein, daß die Anbetung 
des „Leibes Gottes“ bei dem aus dem Heidentum hervorgegangenen 
christlichen König ganz besonderen Anklang finden mußte. 
Als es indessen die Judenfeinde bald darauf zu Straßenexzessen
	        
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