Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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Osteuropa und der jüdische Orient 
ten haben mochte, es sich mit den Juden endgültig zu verderben. Die 
polnischen Kleriker mochten versucht .haben, mit Beistand des Prin 
zen von Anjou die westlichen Gepflogenheiten auch in ihrem Heimat- 
lande heimisch zu machen, werden aber dabei kaum große Erfolge 
gehabt haben. Die Zeit für solche Experimente war noch nicht ge 
kommen: setzten sie doch einen viel weitergehenden Einfluß der 
Geistlichkeit auf die Staatsgeschäfte voraus, wie er erst später, in 
der folgenden Epoche, zur Geltung kommen sollte. 
§ 63. Polen und Litauen unter Jagello und Witold 
An der Grenzscheide des XIV. und XV. Jahrhunderts wurden Polen 
und Litauen infolge der Vermählung des litauischen Fürsten Jagello 
mit der polnischen Thronerbin Jadwiga durch Personalunion zu einem 
einheitlichen großen Reiche verbunden (i386). Der litauische Fürst 
erkaufte das Recht auf die polnische Krone, die fast ein halbes Jahr 
hundert lang sein Haupt schmücken sollte (i386—i434), mit sei 
nem persönlichen Übertritt zum Katholizismus und mit der Taufe 
der gesamten heidnischen Bevölkerung seines Landes. Der königliche 
Neophyt, dem die Kirche zur höchsten politischen Macht verholfen 
hatte und den sie wegen der Bekehrung des letzten heidnischen Stam 
mes in Europa mit einem Glorienschein umgab, konnte nicht umhin, 
sich ihren Dienern mit Leib und Seele zu verschreiben. So stand denn 
die polnische Innenpolitik in der Regierungszeit Wladislaw Jagellos 
ganz unter dem Einfluß der katholischen Geistlichkeit. Trotz seiner 
finanziellen Abhängigkeit von den jüdischen Steuerpächtern und Ban 
kiers scheint Jagello nicht willens gewesen zu sein, das liberale Juden 
statut, das Privileg Kasimirs des Großen, erneut zu bestätigen 1 ). Zwar 
ging er nicht soweit, den Juden seinen Schutz gegen die ihnen drohen 
den Gewalttaten zu verweigern, doch begründete er dabei sein Ver 
halten in einer Weise, die über seine wahren Gefühle keinen Zwei 
fel ließ: „Wiewohl wir es einsehen, daß die von den Juden eingenom 
mene Stellung bei Vielen Haßgefühle erregt, erachten wir es dennoch 
als unsere Pflicht, denjenigen, die von der göttlichen Gerechtigkeit 
!) Der dem Hofe des Jagello und seiner Nachfolger nahestehende Krakauer 
Bischof Oiesnicki schrieb an Kasimir IV. den Jagellonen: „Euer Vater seligen 
Angedenkens weigerte sich sein Leben lang, ungeachtet der Vorstellungen und 
der Bestechungsversuche von seiten vieler Juden, den Privilegien (Kasimirs des 
Großen) seine Sanktion zu erteilen, was ich selbst als Zeuge bestätigen kann“.
	        
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