Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 62. Polen unter Kasimir dem Großen 
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sen, gingen dem König gleich nahe. Man nannte ihn den „König der 
Knechte“ und es kam das geflügelte Wort in Umlauf, daß er „ein höl 
zernes Polen geerbt und ein steinernes hinterlassen“ hätte, da unter 
ihm überall in den polnischen Städten steinerne Bauten errichtet wur 
den. In der Periode des staatlichen Aufbaus und des Städtebaus 
konnte nun Kasimir unmöglich auf den Unternehmungsgeist und 
die Kapitalkraft der Juden verzichten. Diese wirtschaftspolitischen 
Erwägungen bewogen ihn, schon im zweiten Jahre seiner Regierung 
(i334) den von Boleslaw von Kalisch den Juden der Provinz Groß 
polen verliehenen Freibrief (oben, § 3o) erneut zu bestätigen und 
seine Wirkung auf ganz Polen auszudehnen. Später ergänzte Kasimir 
den Freibrief des Boleslaw durch neue Gesetzesbestimmungen, die 
zusammen mit den von früher her bestehenden die für die polni 
schen Juden geltende Verfassung bildeten. Gleich den auf Grund 
ihres eigenen, des „deutschen (Magdeburger) Rechts“ verwalteten 
Bürgerkorporationen der christlichen Ansiedler aus Deutschland such 
ten sich auch die jüdischen Gemeinden durch Privilegien eine auto 
nome Verwaltung zu sichern. Während die Gemeinden in allgemein 
bürgerlichen Angelegenheiten den königlichen Woiwoden unterstan 
den, wurden sie, soweit ihr inneres Leben in Betracht kam, von Män 
nern ihrer eigenen Wahl verwaltet. Von besonderer Wichtigkeit war 
für die Juden die Unabhängigkeit von der Jurisdiktion der Stadt 
magistrate und der christlichen Körperschaften, da die jüdische Be 
völkerung sonst ihren Handelskonkurrenten oder der ihr feindlich 
gesinnten katholischen Geistlichkeit auf Gnade oder Ungnade ausge 
liefert gewesen wäre. Auf den Zusammenschluß der Juden zu einem 
sich auf sicherer Rechtsgrundlage auf bauenden Stande gingen eben 
alle die polnische Judenheit betreffenden Gesetzgebungsakte Kasimirs 
sowie seiner Nachfolger aus. 
Im Gegensatz zu den deutschen Urkunden, in denen die Juden als 
„Knechte der königlichen Kammer“ oder als Leibeigene der Krone 
bezeichnet zu werden pflegten, heißt es in den einleitenden Sätzen des 
Erlasses des Königs Kasimir vom Jahre i364 ohne jede Überhebung, 
daß der König „der Bitte der in allen Städten des polnischen Rei 
ches lebenden Juden“ aus dem Grunde stattgegeben habe, weil er 
„den Nutzen seines Schatzes zu vermehren bestrebt“ sei (utilitates 
camerae nostrae augere cupientes). Dieses Grundgesetz gewährleistete 
den Juden in ganz Polen Niederlassüngsrecht und Freizügigkeit, un
	        
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