Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 61. Das jüdische Schrifttum 
rer der Philosophie an der christlichen Universität war der Raum in 
derselben Gemeinde viel zu eng, und so mußte Delmedigo aus Padua 
in seine Heimatstadt Candia zurückkehren, wo er bald, noch in blü 
hendem Alter, vom Tode ereilt wurde. 
Ähnlich war das Los seines Zeitgenossen Jehuda ben Jechiel, eines 
Arztes und Rabbiners in Mantua, der unter dem Namen Messer Leon 
(um i44o—1490) bekannter ist. In seiner Begeisterung für den 
italienischen Humanismus suchte Leon Stil und Geist der antiken 
Rhetorik auch in die hebräische Literatur zu verpflanzen. Außer 
einem in Anlehnung an Quintilianus und Cicero verfaßten Werke 
über die Redekunst („Nofeth zufim“) schrieb er noch einen Leit 
faden der Logik und der Grammatik. Nachdem der Rabbiner Joseph 
Kolon in Mantua eingetroffen war, entbrannte zwischen diesem und 
Leon ein heftiger Streit, der weniger auf ihre Rivalität im Berufe als 
vielmehr auf die Verschiedenheit ihrer Geistesrichtung zurückging. 
Der Widerstreit der beiden Rabbiner rief in der Gemeinde einen so 
scharfen Parteikampf hervor, daß der Herzog von Mantua sich ge^ 
nötigt sah, zur Beruhigung der aufgeregten Gemüter die zwei Rivalen 
aus der Stadt zu weisen (i475). Joseph Kolon fand hierauf in Pavia 
eine neue Wirkungsstätte, und auch die von Messer Leon inaugurierte 
Geistesströmung sollte nicht versiegen. Der italienische Humanismus 
machte inzwischen, namentlich auf dem Gebiete der Philologie, 
rasche Fortschritte und zog zu Beginn des XVI. Jahrhunderts auch 
viele jüdische Gelehrte in seinen Bannkreis. 
Zum Aufschwung des geistigen Lebens dieser Zeit trug nicht we 
nig die um die Mitte des XV. Jahrhunderts erfundene Buchdrucker 
kunst bei. Unter den Juden waren es die Italiens, die sich als erste 
die große Erfindung zunutze machten. Schon in den siebziger und 
achtziger Jahren des XV. Jahrhunderts wurden in Mantua, Ferrara, 
Bologna und Neapel hebräische Bücher gedruckt. Seit dem Beginn 
des XVI. Jahrhunderts werden die italienischen Buchdruckereien zu 
den Vorratskammern, aus denen die gesamte Judenheit mit geistiger 
Nahrung versorgt wird. 
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