Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Italien zur Zeit der Frührenaissance 
nen glaubte. In der jüdischen Literatur hat Delmedigo seinen Namen 
durch einen kurz gefaßten, im Jahre* 1491 niedergeschriebenen Trak 
tat verewigt, der den Titel „Bechinath ha’dath“ („Prüfung des Glau 
bens“) trägt und die philosophischen Grundlagen des Judaismus zum 
Gegenstände hat. Der allen radikalen Tendenzen abholde Verfasser 
bemüht sich in dieser Abhandlung zu beweisen, daß das Gebiet der 
ein unabhängiges Reich bildenden und von ihren eigenen Gesetzen 
regierten Religion durch die Ergebnisse der philosophischen Speku 
lation in keiner Weise berührt werde. Der Judaismus sei vor allen 
Dingen die Religion der Tat und nicht allein die des Glaubens oder 
der Kontemplation. In diesem Bereiche müsse für uns allein die die 
Bibelvorschriften auslegende talmudische Halacha maßgebend sein 
und bleiben. Hingegen sei für uns die mit ihren Legenden und ein^ 
ander widersprechenden Ansichten in die Region des Glaubens und 
der Dogmatik vorstoßende Haggada nicht mehr als jedes andere Werk 
des menschlichen Geistes verbindlich, weshalb denn der haggadischen 
Exegetik, soweit sie dem unmittelbaren Sinngehalt der Thora und der 
Propheten widerspricht, nicht die geringste Bedeutung beizumessen 
sei. Umsoweniger könne der mystischen Kabbala und dem von ihr 
heiliggesprochenen Buche „Sohar“ Bedeutung zukommen, dieser ver 
meintlichen Offenbarung des Rabbi Simon ben Jochai, von der der 
Talmud nichts zu berichten wisse. Die kabbalistische Lehre von den 
„Sefiroth“ als mit göttlicher Kraft ausgestatteten Potenzen stehe in 
krassem Widerspruch zu dem schlichten Dogma der Einzigkeit Got 
tes. Während die Kabbalisten die Gottheit materialisierten, ließen die 
Rationalisten die biblischen Vorstellungen von Gott zu abstrakten 
Schemen verblassen, und so müßte man beide Extreme verwerfen. 
Delmedigo selbst zieht den von Maimonides gewiesenen Mittelweg vor, 
ist aber noch viel gemäßigter als sein Meister, indem er z. B. bei der 
Erforschung der den Geboten der Religion zugrunde liegenden Mo 
tive („taame ha’mizwoth“) größte Behutsamkeit anempfiehlt, damit 
die bei der Ergründung der letzten Ziele und Absichten der einen 
oder anderen Gesetzesvorschrift entstehenden Meinungsverschieden 
heiten nicht zu einem Zwiespalt in Israel führen. Trotz seiner Be 
hutsamkeit blieb dem Philosophen ein Zustammenstoß mit dem Rab 
biner von Padua, Jehuda Menz, dem schon die Ansicht von der Unver 
bindlichkeit der haggadischen Interpretationen als durchaus ketzerisch 
erschien, nicht erspart. Für den konservativen Rabbiner und den Leh- 
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