Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 4. Religiöse Disputationen und Verbrennung des Talmud 
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die Disputationen in der Öffentlichkeit und Literatur gleichsam zu 
einer Alltagserscheinung. Beide Parteien rüsteten sich voll Eifer zu 
diesen Turnieren: verfaßten die katholischen Theologen polemische 
Traktate zur Anleitung der Christen bei ihren Disputationen mit den 
Juden 1 ), so schrieben die Rabbiner ihrerseits Leitfäden zur Wider 
legung der Dogmen des Christentums sowie seiner abwegigen Bibel 
auslegung. Um diese Zeit eben verfaßten die in der Provence leben 
den Grammatiker und Kommentatoren Joseph und David Kimchi 
(Band IV, § 47) ihre antichristlichen Apologien. Im Vorwort zu sei 
nem „Buch des Bundes“ („Sefer ha’berith“) betont Joseph Kimchi 
ausdrücklich, daß er es auf Zureden seiner Schüler als Handbuch für 
Disputationen mit Andersgläubigen und getauften Juden verfaßt hätte, 
die den Sinn der Heiligen Schrift durch symbolische Auslegung in 
christlichem Geiste zu entstellen und zu verdrehen suchen. 
Der kurzgefaßte Traktat ist dem literarischen Brauche der Zeit 
gemäß in Form eines Dialogs zwischen einem Christen und einem Ju 
den („Min u’maamin“) gehalten und behandelt in Rede und Gegen 
rede die Dogmen von der Dreifaltigkeit und der Mutter Gottes, von 
Christus als dem Erlöser von der Erbsünde sowie seine angebliche 
messianische Berufung. Zuweilen greift die theologische Auseinander 
setzung auch auf das Gebiet des sozialen und alltäglichen Lebens über. 
So sucht der Jude in diesem Dialog zu beweisen, daß seine Stammes^- 
genossen in moralischer Hinsicht den Christen überlegen seien. Die 
Gebote: „Du sollst nicht töten“ und „Du sollst nicht ehebrechen“ be 
folgten die Juden in viel strengerer Weise als die Christen, wie dies 
durch die Tatsache bezeugt werde, daß unter ihnen Mörder und Lüst 
linge viel seltener anzutreffen seien; auch die Nächstenliebe sei bei 
den Juden viel fester verwurzelt: stünden sie doch einander in der Not 
stets hilfreich bei und trügen Sorge um ihre Armen, wobei sie den 
verschämten Notleidenden die Unterstützung insgeheim zukommen lie 
ßen; sie zeichneten sich auch durch Gastfreundlichkeit aus und ließen 
den Fremden nie die Zeche bezahlen, was bei den Christen nur sehr 
1 ) Größtenteils wurden diese Bücher in Form von Dialogen zwischen einem 
Christen und einem Juden abgefaßt. Große Volkstümlichkeit erlangten die Schrif 
ten des Mönches Ruppert: „Annulus seu Dialogus christiani et judaei de fidei 
sacramentis“ und Peters von Blois: „Liber contra perfidiam judaeorum“. Im XIII. 
Jahrhundert wurden solche polemische Leitfäden nicht selten auch in der franzö 
sischen Volkssprache verfaßt („De la disputaison de la sinagogue et de la sainte 
6glise“).
	        
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