Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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Der Zusammenbruch des jüdischen Zentrums in Spanien 
Lande, daß den Juden zur Abwicklung ihrer Geschäfte drei Monate 
gegeben seien, nach deren Ablauf si6 Spanien verlassen müßten; je 
der Jude, der nach dieser Frist im Lande angetroffen werden soEte, 
würde dem Tode oder — der Taufe verfallen. 
Der tragische Augenblick war gekommen. Hunderttausende muß 
ten plötzlich auf einen Machtspruch von oben das Land verlassen, in 
dem ihre Vorfahren schon zur Zeit der römischen Herrschaft, noch 
vor der Entstehung des Christentums ansässig gewesen waren, in dem 
sie im Laufe einer langen Reihe von Jahrhunderten sowohl unter ara 
bischer wie unter christlicher Herrschaft in emsiger Arbeit den mate 
riellen Wohlstand und die geistige Kultur des Landes aufgebaut hat 
ten und auch ein eigenes nationales Zentrum hatten erstehen lassen, 
das seiner geschichtlichen Bedeutsamkeit nach gleich hinter den 
Hegemoniezentren Palästina und Babylonien rangierte. Die Trennung 
vom Heimatlande war aber auch mit völliger Verarmung verbunden. 
Die den Exulanten für die Liquidation ihres Besitzes eingeräumte 
Frist war so kurz bemessen, daß an eine günstige Abwicklung gar 
nicht zu denken war. Der unbewegliche Besitz mußte für ein Nichts 
hergegeben werden. Ein gut eingerichtetes Haus wurde gegen einen 
Esel eingetauscht, der ertragreichste Weinberg gegen ein paar Meter 
Tuch, und trotzdem konnte die Mehrzahl der Häuser nicht verkauft 
werden. Di-e Veräußerung hatte übrigens auch wenig Zweck, da ge 
münztes Geld nicht ausgeführt werden durfte und Geldanweisungen 
jenseits der Grenze so gut wie wertlos waren. Wohlhabende Famüien 
sahen sich von völligem Ruin bedroht und zu einem Bettlerdasein ver 
urteilt. Die verzweifelte Lage der vor der Verbannung stehenden Ju 
den schien den Dominikanermönchen der geeignetste Zeitpunkt für 
die Entfaltung ihrer Missionspropaganda zu sein. Sie redeten den Un 
glücklichen zu, zum katholischen Glauben überzutreten, um so dem 
Elend und der Obdachlosigkeit zu entgehen. Indessen war die Zahl 
derjenigen, die sich durch die Verlockungen der Mönche verleiten 
ließen, überaus gering. Zu diesen wenigen gehörte allerdings auch der 
Hofrabbiner und Fiskal Abraham Senior mitsamt seiner Familie, was 
in den Hofkreisen mit größtem Jubel begrüßt wurde: König und Kö 
nigin standen bei der Taufe in eigener Person Gevatter. 
Der Auszug setzte ein. Der älteste der Rabbiner, Isaak Aboab aus 
Toledo, begab sich zusammen mit noch dreißig anderen Vertretern 
der kastilischen Gemeinden nach Portugal, um dort Gastfreundschaft
	        
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