Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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§ 56. Die Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) 
sie einher, mit ausgelöschten Kerzen in den Händen. Eine Menge Volks 
strömte herbei, um dem Schauspiel zuzusehen und die Prozessions 
teilnehmer konnten sich vor Scham der Tränen nicht erwehren. Aber 
auch nachdem sie Buße getan und in die Kirche wieder aufgenommen 
worden waren, mußten sie eigens für sie angeordnete Fasten halten. 
Überdies schränkte man ihre bürgerlichen Rechte stark ein; sie durf 
ten keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden, keine Handelsunter 
nehmungen betreiben, nicht als Zeugen vor Gericht auftreten, keine 
prunkvollen Kleider und keinen Schmuck anlegen, nicht auf Pfer 
den reiten u. dgl. m. Zum zweiten Autodafe, das am 2. April des 
selben Jahres stattfand, erschienen etwa neunhundert Bußfertige, die 
unter den gleichen Bedingungen der Kirche zugeführt wurden. Das 
dritte Autodafe (am 16. August) war bereits von Menschenopfern be 
gleitet: es wurden zwanzig Männer und fünf Frauen, zumeist aus 
den höchsten gesellschaftlichen Kreisen, auf dem Scheiterhaufen ver 
brannt. Im darauffolgenden Jahre stieg die Zahl der durch die öffent 
lichen „Glaubensakte“ „mit der Kirche Versöhnten“ bis auf zwei 
tausend; viele von ihnen mußten zum Zeichen der Reue bis an ihr 
Lebensende das „Sanbenito“ tragen. Es kam hier nicht selten vor, 
daß man wegen Marranenketzerei sogar Priester und Mönche den 
Flammentod sterben ließ: so tief war bereits die „jüdische Seuche“ 
in das Innere der Kirche gedrungen. Es fehlte auch nicht an Bei 
spielen übermenschlichen Heldenmutes; so rief eine von den Flam 
men schon umfangene Frau noch im letzten Augenblick aus, daß 
sie glücklich sei, in der mosaischen Religion zu sterben, und mit dem 
Wort „Adonai“ auf den Lippen hauchte sie ihr Leben aus. 
§ 56. Die Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) 
Trotz des Ungestüms, mit dem die Inquisition die Marranen den 
Flammen preisgab oder sie zur „Aussöhnung“ mit der Kirche zwang, 
blieben im Lande noch immer viele unversöhnt und unversöhnlich. 
Je länger die Inquisition wütete, desto klarer wurde es, daß die Mar- 
ranenfrage aufs engste mit der jüdischen verbunden sei. Um die 
schlechten Neuchristen zu guten Katholiken machen zu können, galt 
es, sie von ihren Stammesgenossen im Lande völlig zu isolieren, und 
wenn dies sich als undurchführbar erweisen sollte, die Jucjn für 
immer des Landes zu verweisen. Das System der Absonderung betrieb
	        
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