Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Der Zusammenbruch des jüdischen Zentrums in Spanien 
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moralisiert, immer kühner trieben Denunzianten und sonstige dunkle 
Ehrenmänner ihr Unwesen. Die schweren Mißstände bewogen Abra 
ham Benveniste, mit königlicher Genehmigung in Valladolid eine 
Rabbiner- und Ältestenkonferenz einzuberufen (i432). Die Versamm 
lung arbeitete ein umfassendes Statut („Tecana“ oder „Eskama“ in 
der jüdisch-spanischen Umgangssprache) aus, das zum Grundgesetz 
der jüdischen Gemeinden Kastiliens werden sollte. Dem Statut lagen, 
wie es scheint, aus älterer Zeit stammende Statuten der einzelnen Ge 
meinden zugrunde, doch wurden sie jetzt, den Zeitforderungen ent 
sprechend, durch neue Vorschriften ergänzt und zu einer einheit 
lichen Verfassung der gesamten „Kahale“ 1 ) von Kastilien zusammen 
gefaßt. Der Gesetzgeber richtete hierbei sein Hauptaugenmerk auf 
die Bekämpfung jener inneren Miß stände, die unter der allgemeinen 
Zerrüttung immer weiter um sich griffen. So wurden jenen Reichen, 
die sich zum Schaden der ärmeren Gemeindemitglieder mit Hilfe von 
allerlei Machenschaften oder unter dem Schutze der christlichen Be 
hörden der Entrichtung der Staats- und Gemeindesteuern zu ent 
ziehen pflegten, die strengsten Strafen in Aussicht gestellt. Zugleich 
sollten nach den neuen Bestimmungen auch die Denunzianten schärfer 
bestraft werden, jene „Malschinim“ oder Erpresser, die schon in den 
früheren Jahrhunderten von den Gemeinden als ein Erzübel bekämpft 
worden waren und nun, angesichts der Zuspitzung der Beziehungen 
zwischen Juden und Christen, eine besonders schwere Gefahr be 
deuteten. Dem rabbinischen Kahalgericht wurde das Recht einge 
räumt, diese Schädlinge zu Geldstrafen, Kerkerhaft, aber auch zu 
Prügelstrafen zu verurteilen; der zum dritten Mal der Angeberei Über 
führte konnte von dem Oberrichter, dem „Hofrabbiner“, auch zum 
Tode verurteilt werden, nur bedurfte der Urteilsspruch in diesem Falle 
der königlichen Sanktion. Zur Aufrechterhaltung von Zucht und Sitte 
sowie zur Vermeidung unliebsamer Reibungen mit der umgebenden 
Landesbevölkerung untersagte das Statut der Frauenwelt, allzu eifrig 
der Putzsucht zu huldigen: „Mögen unsere Männer und Frauen nie 
vergessen, daß sie im Galuth schmachten und nicht auf eigenem 
Grund und Boden stehen“. Die durch die Ordonnanz vom Jahre 1/U2 
1) Um diese Zeit bürgert sich als Bezeichnung für die jüdische Gemeinde 
statt des alten arabisch-spanischen Ausdrucks „Aljama“ immer mehr das he 
bräische Wort „Kahal“ ein, das uns denn auch in dem in spanischer Sprache, 
jedoch in hebräischen Schriftzeichen abgefaßten Statut von Valladolid bereits als 
terminus technicus entgegentritt.
	        
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