Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 50. Die Disputation zu Tortosa 
zeugenden biblischen Prophezeiungen und talmudischen Aussprüche 
„überführten“. Es wurde ein heimtückischer Angriffsplan ausge 
heckt: die durch den Missionsterror eingeschüchterten jüdischen 
Wortführer sollten durch Fragen, die sie, ohne die Gefahr einer Ju 
denhetze heraufzubeschwören, nicht freimütig beantworten konnten, 
in Verlegenheit gebracht werden, damit ihre Verwirrung und Un 
sicherheit als Niederlage des Judentums hingestellt werden könnte; 
um aber den Sieg der Kirche in noch überzeugenderer Weise vor Au 
gen zu führen, beschloß man außerdem, in diesen öffentlichen Ver 
sammlungen zugleich die Taufe an jenen Unglücklichen vorzuneh 
men, die in dieser Zeit der kirchlichen Schreckensherrschaft so häufig 
in der Kapitulation vor der Kirche die einzige Rettung erblickten. 
Gegen Ende des Jahres 1^12 ließ Benedikt mit Zustimmung des 
aragonischen Königs an alle jüdischen Gemeinden Aragoniens den 
strikten Befehl ergehen, maßgebende Rabbiner und Gelehrte zwecks 
Teilnahme an einer religiösen Disputation nach Tortosa zu entsenden. 
Die Gemeinden mußten sich wohl oder übel fügen, obschon ihnen 
die wahre Absicht des Gegenpapstes und seiner Genossen nicht ver 
borgen blieb. So fanden sich denn in Tortosa etwa zwanzig Abgeord 
nete ein, von denen sich bei der Disputation namentlich die folgen 
den hervortaten: das Haupt der Gemeinde von Saragossa, der „Nassi“ 
Vidal Benveniste (auch „Rabbi Ferrer“ genannt), der Übersetzer phi 
losophischer Bücher aus dem Arabischen Serachia Iialevi, gleichfalls 
aus Saragossa, der berühmte Verfasser des Werkes über die Dogmen 
(„Ikkarim“) Joseph Albo aus Daroca und Astruc Halevi aus Alcaniz 1 ). 
Die Disputation begann im Februar des Jahres i4i3, um sich mit 
Unterbrechungen bis zum November des folgenden Jahres hinzuziehen, 
wobei sie nicht weniger als neunundsechzig Sitzungen in Anspruch 
nahm. Die Disputation verlief in den feierlichsten Formen. Den Vor 
sitz führte in der Regel Papst Benedikt in eigener Person, den ein 
großes Gefolge von geistlichen und weltlichen Würdenträgern um 
1) Dieser Zusammenstellung der Namen der jüdischen Wortführer liegen die 
mit zwei jüdischen Berichten: in „Wikkuach Tortosa“ und in „Schebet Jehuda“ 
(Nr. 4o) kollationierten lateinischen Sitzungsprotokolle zugrunde. Der im amt 
lichen lateinischen Protokoll vielfach erwähnte Disputant „Rabbi Ferrer“ ist wohl, 
wie Graetz (Band VIII, Note 3) richtig vermutet, mit dem genannten Vidal Ben 
veniste identisch. Auch in der weiteren Schilderung der Disputation waren wir 
bemüht, die Wahrheit durch Konfrontierung der sich widersprechenden Berichte 
nach Möglichkeit herauszuschälen, was nunmehr durch die ausführliche /Vrbeit 
von Ad. Poznanski bedeutend erleichtert ist (s. Bibliographie). 
:23 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. V 
353
	        
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