Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Deutschland im XIV. und XV. Jahrhundert 
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weiteren Ausgestaltung der Gemeindeautonomie und in der nicht 
nachlassenden Anspannung des geistigen Schaffensdranges. 
Ein Paria außerhalb seines Viertels, war der Jude innerhalb des 
Ghetto ein Vollbürger, der Bürger seines eigenen geistigen Reiches. 
Noch mehr als früher schloß sich das Judenstädtchen gegen die es 
umgebende christliche Stadt ab, immer enger preßten sich die ein 
geschüchterten Schafe aneinander, aus deren Mitte die Wölfe sich 
immer wieder ihre Beute holten. Die Machthaber waren unablässig 
mit der Schur beschäftigt, das Volk zog seinen Opfern voll Wut die 
Haut ab und zerbrach ihnen die Knochen, und so mußten die treuen 
Hirten stets auf dem Posten sein, um, soweit es in ihrer Kraft 
stand, das Unheil abzuwenden, nach der entstandenen Verwirrung die 
Ordnung wiederherzustellen und in den aufgelösten Reihen die Zucht 
aufrechtzuerhalten. Diese Aufgabe fiel überall der durch ihren Rat 
vertretenen jüdischen Gemeinde zu, die uns in den damaligen offi 
ziellen Urkunden unter der Bezeichnung „Judenschaft“ oder „Jü- 
dischheit“ entgegen tritt. In dieser Zeit der systematischen Ausbeutung 
der Juden durch Kaiser, Herzoge, Bischöfe und Bürgerschaft wurde 
die jüdische Gemeindeselbstverwaltung wider Willen in immer stei 
gendem Maße in den Interessenkampf der verschiedenen Gewalten 
und Stände mithineingezogen, da jede dieser Mächte die Organe der 
„Judenschaften“ zu einem ihrem eigenen Nutzen dienenden Werk 
zeug zu machen trachtete. Als Vermittler zwischen den jeweiligen 
Machthabern und den jüdischen Gemeinden traten in der Regel die 
Vorsteher des Gemeinderates, die sogenannten „Judenmeister“ auf. 
Dieser Titel 1 ), der in früherer Zeit dem „Parnas“, dem gewählten 
Haupte des Gemeinderates, gegeben zu werden pflegte, wird im XV. 
Jahrhundert nicht selten auch dem Rabbiner beigelegt, wohl aus dem 
Grunde, weil zuweilen auch er in dem Gemeinderat den Vorsitz führte 
(so wird z. B. der in die Regensburger Affäre verwickelte Rabbi Israel 
Bruna in den deutschen Akten stets „Judenmeister“ genannt). Es be 
durfte übermenschlicher Anstrengungen, um die Organe der jüdi- 
1 ) Im XIII. Jahrhundert hießen „Judenmeister“ auch jene Mitglieder des 
Stadtrates, die mit der Bevormundung der jüdischen Ortsgemeinde und mit der 
Eintreibung der ihr auf erlegten städtischen Steuern betraut waren. In Köln pflegte 
der Stadtrat zu diesem Zwecke alljährlich zwei seiner Mitglieder als „Judenmeister, 
zu ernennen (S. Weyden, Geschichte der Juden in Köln, S. 169 ff.). Ein Gegen 
stück zu den christlichen Judenmeistern waren die christlichen Judenrichter, denen 
die Kontrolle des jüdischen Gemeindegerichts oblag.
	        
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