Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 46. Die Hussitenbewegung und die klerikale Reaktion 
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der Einheit der Kirche willen ins Feld ziehen mußten, trieb man bei 
den Juden für den gleichen Zweck eine hohe Kriegssteuer in Form 
des „dritten Pfennigs“, d. h. eines Drittels ihres gesamten Vermögens 
ein. Besondere Kommissare bereisten die Städte zwecks Eintreibung 
dieses ungeheuerlichen Tributs und zogen von Haus zu Haus, um das 
jeweilige Vermögen und die Lebensmittelvorräte einzuschätzen. Zu 
gleich hielten auch die Stadträte mit ihren Ansprüchen gegenüber den 
Juden nicht zurück. In den bedeutendsten Reichsstädten waren die 
Stadträte die tatsächlichen Herren der jüdischen Gemeinden, mit de 
ren Mitgliedern sie nach Gutdünken verfahren und die sie jeden Au 
genblick vertreiben konnten, da die nach der Katastrophe des 
„Schwarzen Todes“ an die alten Trümmer Stätten zurückgekehrten 
Juden, wie erwähnt, nur als zeitweilige, von der Bürgerschaft bloß 
geduldete Stadtbewohner galten. Kamen die Bürger zur Überzeugung, 
daß die Juden ihnen keinen Vorteil mehr brächten oder sie gar schä 
digten, so wies sie der Stadtrat kurzerhand aus. So wurden im Jahre 
i42 4 die jüdischen Einwohner von Köln ohne jede weitere Begrün 
dung, allein „zum Ruhme Gottes und der heiligen Jungfrau“ aus der 
Stadt vertrieben, während ihre Synagoge in eine christliche Kapelle 
umgewandelt wurde. Der Kölner Erzbischof, dem der Judenschutz 
nicht wenig Gewinn einbrachte, gewährte indessen den Verbannten in 
anderen in seiner Diözese gelegenen Orten (Deutz, Neuß, Bonn usf.) 
bereitwilligst Zuflucht. In derselben Weise wiesen die Stadtbehörden 
im Jahre i438 alle Juden aus Mainz aus und beschlagnahmten zu 
gleich die Synagoge und den jüdischen Friedhof. Der Kaiser war an 
scheinend nicht mehr in der Lage, sich für seine Kammerknechte ein 
zusetzen, da sie jetzt, soweit ihr Wohnrecht in Frage kam, ganz auf 
das freie Ermessen der autonomen Stadtbehörden angewiesen waren. 
Am schwersten wurden von der klerikalen Reaktion die Juden 
Österreichs getroffen, in dessen unmittelbarer Nähe sich die Hussiten- 
kämpfe abgespielt hatten. Wien war ganz von einer judenfeindlichen 
Stimmung beherrscht. Es wurde das Gerücht in Umlauf gesetzt, daß 
die Juden die Hussiten mit Geld und Waffen versorgten. Die Frage 
der Beziehungen der Juden zu den aufrührerischen Ketzern wurde 
sogar vor der theologischen Fakultät der Wiener Universität zur Er 
örterung gebracht. Die rauflustigen Studenten unternahmen Über 
fälle auf das jüdische Viertel, wo sie nach Herzenslust tobten und 
sich an jüdischem Hab und Gut vergriffen. Auch der österreichische
	        
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