Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Das spanische Zentrum im XIV. Jahrhundert 
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sich nach und nach von den Dogmen der ihnen aufgenötigten Reli 
gion verleiten zu lassen. Der spanische Urtext der Schrift ist uns 
zwar nicht erhalten geblieben, doch besitzen wir manche Bruchstücke 
davon in hebräischer Übersetzung („Bittul ikkare ha’nozrim“). 
Den Mittelweg zwischen Philosophie und Kabbala schlug ein 
Enkel des Rosch, Meir Aldahi, ein, der Verfasser des Buches „Die 
Pfade des Glaubens“ („Schebile emuna“, i36o). Das Werk stellt 
eine kurzgefaßte Enzyklopädie dar, die alles für einen Theologen 
Wissenswerte enthielt. Die Lehre von Gott und seinen Attributen wird 
hier mit kabbalistischen Gedankengängen verbrämt, die Theorie der 
Weltschöpfung durch aus der damaligen Astronomie und Physik her 
angezogene Lehrsätze und die von der Schöpfung des Menschen durch 
solche aus der Anatomie, Physiologie und Hygiene bekräftigt; in der 
Darstellung der Lehre von der Seele sind Betrachtungen über die 
religiöse Ekstase eingeflochten; die GesetzesvorSchriften der Thora 
werden hier, ganz im Geiste der talmudischen Haggada, sowohl in 
ethischem Lichte als in dem sagenhafter Überlieferungen dargestellt; 
im Zusammenhang mit den Dogmen der Unsterblichkeit der Seele 
und des Lebens nach dem Tode wird die mystische Lehre von der 
Seelenwanderung abgehandelt. Das Buch stellt überhaupt ein buntes 
Gemisch von heterogensten Systemen entlehnten Gedankengängen dar. 
Wiewohl ein Eklektiker, läßt der Verfasser dennoch die Superiorität 
der Tradition uneingeschränkt gelten. Er erklärt sich für einen Geg 
ner „jener Philosophie, die sich gegen unsere altehrwürdigen Mei 
ster dreist zu Worte meldet“; er gesteht zwar, die profanen Bücher 
studiert zu haben, hebt jedoch hervor, daß er sich nur kurze Zeit da 
mit abgegeben hätte, „wohl wissend, daß dies sündhaft sei“; auch 
hätte er dies nur zu dem Zwecke getan, „um einem Epikoros (Frei 
denker) die Antwort nicht schuldig bleiben zu müssen“. Unter diesem 
Aushängeschild der Frömmigkeit vermochte das Buch des Aldabi 
große Volkstümlichkeit zu erlangen und wurde später vielfach nach 
gedruckt, was zum Teil auch auf seine allgemeinverständliche Dar 
stellungsweise zurückzuführen ist. 
Alle sonstigen Literaturzweige waren im XIV. Jahrhundert völlig 
verdorrt. Die längst entschlummerte Dichtkunst hatte in diesem Zeit 
raum in Spanien keinen einzigen bedeutenden Vertreter aufzuweisen. 
Die spanischen Schriftsteller wissen nur den bereits erwähnten (oben, 
§ 34) jüdischen Hof dichter Santob de Carrion zu nennen, der in ka-
	        
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