Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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§ 38. Rabbinismus und konservative Philosophie (Crescas) 
bei ähnlichen Katastrophen viel mehr Opfermut an den Tag zu legen 
und nur in Ausnahmefällen nahmen sie den Glauben der Peiniger 
zum Scheine an, um ihn sofort nach dem Abzug der Feinde in aller 
Form wieder abzuschwören; in Spanien gab es hingegen weit mehr 
„Bekehrte“ (conversos) als solche, die ihr Leben opferfreudig für 
ihre Religion hingaben: die Zahl der Abtrünnigen belief sich hier 
schätzungsweise auf mehrere Zehntausende. Zwar gaben sich auch 
hier viele zur Taufe und zum christlichen Lippenbekenntnis nur in 
der Absicht her, nach dem Abebben der Sturmflut von neuem zum 
Glauben ihrer Väter zurückzukehren, was manche denn auch in der 
Tat zur Ausführung brachten, indem sie sich vor dem wachsamen 
Auge der Kirchenspitzel so schnell wie möglich durch Flucht in 
fremde Länder retteten. Die meisten unter den Konvertiten schätzten 
jedoch viel zu sehr die ihnen vergönnte Atempause und trugen die 
Maske des aufgezwungenen Glaubens geduldig zur Schau. Sie konn 
ten nicht voraussehen, was für ein fürchterliches Los sie sich und 
ihren Kindern in Zukunft bereiteten. Von der katholischen Geist 
lichkeit aufs schärfste kontrolliert, mußten diese „Fronknechte“ des 
Christentums („Anussim“) zum Scheine die Kirchenriten peinlichst 
befolgen, während sie den Grundgeboten ihres angestammten Glau 
bens nur unter dem Deckmantel des Geheimnisses nachzukommen ver 
mochten. Diese Zwiespältigkeit sollte für sie zu einem nie versiegen 
den Quell unzähliger Leiden und Ängste werden, um die Tragödie 
des „Marranentums“ und schließlich auch die Schrecken der Inqui 
sition heraufzubeschwören (unten, §§ 5off.). 
§ 38. Der Rabbinismus und die konservative Philosophie (Crescas) 
Im vorhergehenden XIII. Jahrhundert stand in Spanien das Ge 
biet der geistigen Kultur unter dem Zeichen des ebenso heiß be 
kämpften wie glühend verehrten Maimonides. Der hundertjährige 
Kampf der Konservativen gegen das Freidenker tum, der mit dem be 
rühmten rabbinischen Anathema vom Jahre i3o5 endete, verlieh 
indessen der konservativen Geistesrichtung eine unerschütterliche Vor 
machtstellung. So verläuft denn das XIV. Jahrhundert bereits unter 
dem Zeichen geistiger Reaktion. Der Rabbinismus setzte es sich zur 
Aufgabe, in dem Lande, wo alle Vorbedingungen für die Assimilation 
gegeben waren: eine der gesamten Bevölkerung gemeinsame Um
	        
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