Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 32. Allgemeine Übersicht 
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rer Entfaltung und Blüte. Gegen Ende dieser Epoche ist sie bereits 
der Metropole ebenbürtig, um sodann das Mutterland sogar zu über 
flügeln. 
Mit der Vernichtung der alten Hegemoniezentren verkümmern 
auch die alten Herde der geistigen Kultur. Nach den wechselvollen 
Kämpfen des Rabbinismus gegen die Philosophie, die zu Beginn des 
XIV. Jahrhunderts mit dem Triumph des Rabbinismus enden, büßt 
das geistige Leben überall seinen Farbenreichtum ein. In der Reli 
gionsphilosophie werden die konservativen Strömungen vorherrschend 
(Grescas, Albo, Abravanel); der deutsche Rabbinismus faßt nunmehr 
auch auf spanischem Boden festen Fuß (die Schule des Rosch, der 
Kodex „Turim“); die Nachtfackel der Kabbala bannt in ihren ge 
heimnisvollen Lichtkreis jene „Irrenden“, die ehedem im klaren Lichte 
des maimonidischen „Führers“ wandelten. In Deutschland selbst 
herrscht uneingeschränkt der Talmudismus. Die Enge des geistigen 
Gesichtskreises spiegelt gleichsam die ärmlichen Verhältnisse der ab 
geschlossenen „Judengasse“ wieder. In Italien dringt zwar der von 
der Renaissance ausgehende frische Luftzug auch in die jüdische Li 
teratur ein, in der ein Dichter von Rang, Immanuel der Römer, der 
berühmte Zeitgenosse Dantes, hervortritt, doch war es der einst in 
Spanien erblühten jüdischen Renaissance nicht beschieden, auf dem 
italienischen Boden neu zu erstehen. Was für das ausgehende Mit 
telalter charakteristisch ist, ist vielmehr das sich überall bemerkbar 
machende Vordringen des Rabbinismus, dem bald die gemäßigte Phi 
losophie, bald die Mystik Hilfstruppen stellt. Allerorten macht sich 
das Bedürfnis nach innerer Sammlung geltend, der Trieb zur Erhal 
tung des nationalen Geistes mitten in den alles zermalmenden Stür 
men der Zeit. Die spanisch-deutsche Hegemonie bewahrt allerdings 
noch immer jene Zwiefältigkeit, die ehedem der spanisch-französi 
schen Hegemonie eigen war: ist doch auch jetzt in Spanien im Ge 
gensatz zu der deutschen Einseitigkeit eine gewisse Vielseitigkeit der 
geistigen Interessen nicht zu verkennen; hier wie dort geht man aber 
bei aller Verschiedenheit der Wege und Mittel auf das gleiche Ziel 
aus: auf Erhaltung, auf Konservierung.
	        
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