Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 32. Allgemeine Übersicht 
229 
lieh war, dessen Stammesgenossen nicht zu Parias herabsinken. Die 
soziale Lage der spanischen Juden war denn auch nach wie vor viel' 
günstiger als die ihrer Brüder in allen anderen Ländern. Der Adel, 
der Klerus, das Kleinbürgertum begegnen ihnen allerdings häufig mit 
Haß oder Neid, jedoch nie mit Verachtung. Die Verachtung ist er^ 
niedrigend, der Haß aber gefährlich, und so waren die Juden Spa 
niens, die der Erniedrigung entgingen, um so schwereren Gefahren 
ausgesetzt. Die Kleriker verstanden es, durch ihre hemmungslose Agi 
tation die unaufgeklärten christlichen Massen gegen die wachsende 
„Verjudung“ aufzuwiegeln. Im Jahre 1891 sollte auch Spanien sei 
nen inneren Kreuzzug erleben: die wild gewordene Menge dringt unter 
der Anführung von Mönchen in die jüdischen Häuser mit dem Rufe 
ein: Taufe oder Tod! Das Gemetzel von Sevilla gibt das Zeichen zur 
Vernichtung der Juden auch in den anderen Städten Kastiliens und 
Aragoniens. Die Stunde der furchtbaren Prüfung, in der die spani 
schen Juden gleich den deutschen das Martyrium auf sich nehmen 
mußten, war gekommen. Viele von ihnen waren der harten Prüfung 
durchaus gewachsen, es gab jedoch auch solche, die den Mut verloren 
und ihr Leben durch die Scheintaufe retteten. Die unfreiwilligen 
Renegaten hofften wohl unter günstigeren Verhältnissen in ihre Ge 
meinden wieder zurückkehren zu können, doch erwies sich die Hoff 
nung als trügerisch: zu Beginn des XV. Jahrhunderts sollte sich der 
Kirchenterror nur noch mehr verschärfen und den früheren Opfern 
des Gewissenszwanges gesellten sich immer neue hinzu. Es begann die 
Tragödie des Morranentums. Die jüdische Frage erfuhr durch das 
Eindringen der „Neuchristen“ in die spanische Gesellschaft eine neue 
schwere Komplikation. Die Kirche, der auf dem Wege der Gewalt 
eine teilweise Christianisierung der Judenheit gelungen war, erbebte 
nun vor den Anzeichen der drohenden Judaisierung Spaniens. Gegen 
die geheimen Juden erhob sich der strafende Arm der Inquisition 
(i48o). Er vernichtete eine Unmenge von Opfern, der Erfolg blieb 
indessen aus. So entstand die Überzeugung, daß das geheime Juden 
tum erst dann mit Erfolg bekämpft werden könnte, wenn die offen 
kundigen Juden aus dem Lande verschwinden würden: sobald man 
den Stamm abhauen würde, müßten ja die Zweige — sagte man sich 
— von selbst verdorren. So kam er zu der Vertreibung der Juden aus 
Spanien (1492) und dann auch aus Portugal und Navarra. Wieder 
ward ein kulturelles Diasporazentrum vernichtet, wieder hatte ein Zeit-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.