Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 30. Polen als Kolonie der deutschen Judenheit 
217 
dige nicht nur den Verletzten entschädigen, sondern auch eine Geld 
buße an den fürstlichen Schatz entrichten (Art. 9—10). Die den 
Juden zugesicherte Unantastbarkeit von Leben und Besitz wird in 
einer Reihe weiterer Artikel des näheren umschrieben: es wird ver 
boten, die auf Reisen begriffenen jüdischen Kaufleute in irgendeiner 
Weise zu behelligen, höhere Zölle als bei den Christen von ihnen zu 
erheben, jüdische Friedhöfe zu verheeren und die Synagogen oder 
„Schulen“ zu überfallen (Art. 12—15). Im Falle eines nächtlichen 
Überfalles auf die Behausung eines Juden mußten die christlichen 
Nachbarn auf seine Hilferufe unverzüglich herbeieilen, sonst hatten 
sie eine empfindliche Geldstrafe zu gewärtigen (Art. 36). Eingehend 
werden die Funktionen des von dem Fürsten zu ernennenden Richters 
in jüdischen Streitsachen (judex Judaeorum) sowie die Zeremonie der 
Eidesleistung und die sonstigen Formalitäten der Gerichtsverhand 
lung bestimmt, die im Vorhofe der jüdischen „Schule“ (Synagoge) 
oder an einem anderen von den Juden bezeichneten Orte stattzufinden 
hatte (Art. 16—2 3). Der von dem Herrscher ernannte christliche 
Richter, der nach Landesgesetz oder Landesbrauch (jus terrae, con- 
suetudo terrae) Recht sprach, konnte in die inner jüdischen Streitig 
keiten nur mit Zustimmung der Parteien eingreifen, denen es jedoch 
frei stand, ihren Prozeß auch bei ihren eigenen, nach jüdischem Ge 
setz Recht sprechenden Richtern anhängig zu machen. Eine strenge 
Strafe stand auf die Entführung jüdischer Kinder, die wohl zwecks 
gewaltsamer Taufe geraubt zu werden pflegten (oben, § 27). Ferner 
wird „im Namen des Heiligen Vaters und den Verordnungen des 
Papstes gemäß“ (die berühmte Bulle Innocenz’ IV. vom Jahre 1247) 
strengstens untersagt, die Juden der Entwendung und Ermordung 
christlicher Kinder zu angeblicher Blutabzapfung zu bezichtigen, „da 
die Juden ihrem Gesetze zufolge sich überhaupt des Genusses jeg 
lichen Blutes enthalten müssen“; sollte eine solche Beschuldigung den 
noch laut werden, so mußte sie durch die Aussagen von mindestens 
sechs Zeugen, drei Christen und drei Juden, bekräftigt werden; war 
diese Bedingung erfüllt, so verfiel der so überführte Jude der Todes 
strafe, widrigenfalls traf die gleiche Strafe den christlichen Verleum 
der (Art. 32). Zugleich wurden die Juden von der Einquartierungs 
pflicht (hospitatio) befreit; an ihren Feiertagen durften sie nicht vors 
Gericht zitiert und sollten auch nicht ungerechterweise des Münz 
verbrechens angeklagt werden (Art. 2 5, 29, 35). Trotz der Kirchen
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.