Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Die kleineren Zentren und Kolonien im XIII. Jahrhundert 
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Die Abweichung des polnischen Statuts von seinen westlichen Vor 
bildern beschränkt sich auf einige neuhinzugekommene Artikel und 
auf manche unwesentliche Textänderungen in den wörtlich übernom 
menen Bestimmungen. Das Statut umfaßt im ganzen siebenunddreißig 
Artikel und beginnt mit der folgenden Einleitungsformel: „Menschen 
werke, die durch Zeugen oder Urkunden nicht bekräftigt sind, ver 
gehen rasch und verschwinden aus dem Gedächtnis; so verkünden 
denn wir, der Fürst Boleslaw von Großpolen, unseren Zeitgenossen 
sowie der Nachwelt, zu der unser Schreiben gelangen sollte, daß wir 
allen in unserem ganzen Herrschaftsbereiche ansässig gewordenen Ju 
den die nachstehenden Statute und Privilegien verliehen haben“. Der 
erste Artikel dieser Verordnung besagt, daß bei gerichtlichen Ver 
handlungen zivil- und strafrechtlicher Sachen das von einem Christen 
gegen einen Juden abgelegte Zeugnis nur dann berücksichtigt werden 
solle, wenn es auch von einem jüdischen Zeugen bekräftigt wird. 
Ferner wird die Prozeßordnung für zwischen Juden und Christen ent 
stehende Rechtsstreitigkeiten festgesetzt, soweit sie Gelddarlehen gegen 
Verpfändung von beweglichem oder unbeweglichem Gut betreffen 
(Artikel 2—7 sowie 24, 26, 3o, 33, 34). Alle diese Vorschriften 
sicherten dem jüdischen Gläubiger wie dem christlichen Schuldner in 
gleichem Maße Rechtsschutz zu. Für die Schlichtung von Rechts 
streitigkeiten unter Juden waren nicht die allgemeinen städtischen 
Gerichte, sondern der Fürst selbst, sein Statthalter oder ein eigens 
dazu ernannter Richter zuständig (Art. 8). Wegen Ermordung eines 
Juden oder ihm zugefügter Körperverletzung hatte sich der schuldige 
Christ vor dem fürstlichen Gerichte zu verantworten: auf den Mord 
stand die „gebührende Strafe“ und die Vermögenseinziehung zugun 
sten des Fürsten; im Falle schwerer Körperverletzung sollte der Schul 
gewesen ist, das in dem Statut des Boleslaw einer so minutiösen Regelung unter 
zogen wird: befaßten sich doch die polnischen Juden auch noch in viel späterer 
Zeit mehr mit Warenhandel, Land- und Steuerpacht als mit dem Zinsdarlehens 
geschäft. Der Freibrief des Boleslaw ist daher nur als eine mehr oder weniger 
getreue Kopie der um jene Zeit in den Nachbarstaaten vorliegenden Muster zu 
betrachten: des österreichischen Statuts vom Jahre .12 44, des österreichisch-böhmi 
schen vom Jahre 1254 und vielleicht auch des ungarischen vom Jahre 125i. Die 
aus den deutsch-österreichischen Ländern zugewanderten Juden suchten sich ihr 
heimatliches „jus judaicum“ ebenso im neuen Lande zu sichern, wie die Deut 
schen ihr „jus teutonicum“, und so erwirkten sie bei Boleslaw Rechtsgarantien 
nach fertigem Vorbild. Bezieht sich doch das Statut des Boleslaw in seiner Ein 
leitung speziell auf die in Polen „ansässig gewordenen“ Juden (Judaeis nostris, 
per totum districtum nostri dominii constitutis).
	        
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