Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 26. Antirationalismus, Mystizismus und die Martyrologien 
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dort nach Spanien zu ziehen, wo er in Toledo zum Rabbiner erwählt 
wurde (oben, § i5). Hier geriet er, wie berichtet, mitten in das Feuer* 
des zwischen Konservativen und Freidenkern wütenden Kulturkampf 
fes und schloß sich bald vorbehaltlos den ersten an. Ein anderer 
Schüler des R. Meir, der Nürnberger Rabbiner Mardochaj. ben Hillel, 
fiel, wie schon erwähnt, den Horden des Rindfleisch als Märtyrer des 
Glaubens zum Opfer. Das von ihm verfaßte talmudische Kompen 
dium „Mardochai“ lehnte sich an die Darlegungsweise des berühm 
ten Werkes des Alfassi an, war aber reichlich von der in den deut 
schen Schulen beliebten Kasuistik gewürzt. Die mangelhafte stilisti 
sche Bearbeitung des Werkes legt die Vermutung nahe, daß das tragi 
sche Schicksal den Verfasser mitten in seiner Arbeit ereilt hat. 
§26. Antirationalismus, Mystizismus und die Martyrologien 
In der gewitterschwangeren Atmosphäre, in der die deutsche Ju- 
denheit um diese Zeit leben mußte, konnten sich die geistigen Schaf 
fenskräfte nur in sehr einseitiger Weise entfalten. So blieben die 
deutschen Juden auch im XIII. Jahrhundert von den geistigen Be 
wegungen in Spanien und Südfrankreich völlig unberührt. In den 
schmalen Bezirk des Talmudismus gleichsam wie in ihre enge Juden 
gasse eingezwängt, brachten die jüdischen Gelehrten Deutschlands den 
weltlichen Wissenschaften und der Philosophie nur Gleichgültigkeit, 
wenn nicht gar Feindseligkeit entgegen. Die wegwerfende Äußerung 
des Rosch über die „profanen Wissenschaften“ (oben, § 17) ist auch 
für alle seine Landsleute durchaus bezeichnend. Diese Stimmung kam 
am krassesten in der Wirksamkeit des deutschen Rabbiners Moses 
Tako zum Ausdruck (lebte in Regensburg und Wiener Neustadt in der 
zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts), der der Philosophie des Mai- 
monides in einem Lande den Kampf ansagte, wo zu ihrer Verteidi 
gung niemand auch nur ein Wort vorgebracht hätte. In seinem Werke 
„Ketab tamim“ („Die Schrift eines Rechtgläubigen“) fällt er in hef 
tigster Weise über die Rationalisten her, die der Gottheit alle mensich- 
lichen Eigenschaften absprächen, während doch in der Bibel unzwei 
deutig von dem „Arm Gottes“, dem „Antlitz Gottes“, vom göttlichen 
„Zorne“, von seiner „Barmherzigkeit“ usw. die Rede sei. Solche Aus 
drücke müßten, wie Moses Tako meint, keineswegs nur bildlich, son 
dern wörtlich verstanden werden: Gott seien tatsächlich konkrete 
13 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. V
	        
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